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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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plötzlich zusammenfahre und auf einen schaue. So wie die Heizung, wenn die im Winter plötzlich ausfällt. Ob das Kalt-und Kälterwerden nicht dem Betroffenen zum Stutzen dienen könne?

    Sowtschick hörte gar nicht recht hin. Er sah im Büchergang Gabriele und Adelheid, die einander die verschiedenen Blüten zeigten, wie schön die sind, und die Nichten sah er, die sich mit den Hunden beschäftigten, so wie er es gern gehabt hätte, daß sie sich mit ihm beschäftigten. Er hatte absolut nicht das Gefühl, daß die Heizung ausgefallen ist, ganz im Gegenteil.

    «Das sind zwei Mädchen aus Heidelberg», sagte Sowtschick, auf Petra und Rebecca zeigend, als sie mit den Hunden vorübertobten, «meine Nichten.»

    «Soso, Ihre Nichten », sagte Sehgras und setzte behutsam an, ihm ins Gewissen zu reden, wegen all der Mädchen, die hier herumsprangen, wo doch seine Frau nicht da wär… Man könne des Guten auch zuviel tun. «Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.»

    Während Sowtschick sich die sonderbarsten Wörter anhören mußte, von «Sollbruchstellen des Herzens» und vom «Strahlenrisiko der Seele», überlegte er, ob er die Nichten in ihren Bermuda-Shorts nicht vielleicht unter den Ebereschen fotografieren könnte. Sie fehlten ihm noch in seiner Sammlung, von Dahlien umgeben, als Blüten unter Blüten? Was würde bleiben, wenn sie ihn verließen?

    Der Pastor entschuldigte sich, ohne deutlicher zu sagen, wofür. Es passiere ja leicht, daß man einem Menschen was unterstellt… Aber er merkte, daß Sowtschick ihm nicht zuhörte, er konnte den Kurs nicht halten, den er sich vorgenommen. Vielleicht deshalb nicht, weil er selbst auch abgelenkt war. Dies junge Volk war anders als die Konfirmandinnen des Dorfs, das erweckte in ihm Erinnerungen an Tübingen, an die Studentenzeit. Sehnsüchte keimten in ihm auf, für die der liebe Gott ja schließlich Entsprechungen geschaffen hatte: Grundgütig und weise. Er erwog, ob er den Mädchen nicht vielleicht eine Kirchenbesichtigung anbieten sollte, die kühle gräfliche Kapelle mit den Reliefs der sieben Märtyrer erklären: verbrannt, gerädert und gepfählt? Und hinterher die Erschauernden ins lichte Pfarrhaus bitten, ob sie Blockflöte spielen können und sie dann am Cembalo begleiten?

    Nun war zu erörtern, wer wohl das Mädchen Erika in den Graben gestoßen hat. Möglicherweise sei es die Mofa-Jugend gewesen? Sie wurde schon verhört im Gasthaus: Mit Kommissar Wagner sei nicht gut Kirschen essen, oh, oh, der könne ganz schön ruppig sein. Aber, wenn man’s recht überlege, die Mofa-Jugend? Nein, diese Jungs schmissen zwar mit Bierdosen, aber ein Mord war denen nicht zuzutrauen.

    Auch von Ohltrop, dem Unglücklichen, war die Rede, daß die Frau jetzt nach Oberhausen gezogen ist, und das Haus will niemand kaufen.

    Nun klingelte das Telefon. Marianne war am Apparat. Sie hatte von der ganzen Sache erfahren. Es tat ihr schrecklich leid, daß sie sich nicht gemeldet hatte aus Frankreich, das mache sie nie, nie wieder so allein, und sie komme natürlich sofort, obwohl sich das Wetter endlich gebessert hätte: drei Wochen Regen!

    Sowtschick fragte seine Frau, ob sie raten könne, wer gerade hier sei? Die beiden Töchter von Eckart und Luise aus Heidelberg! Und dem Pastor teilte er mit, der nicht indiskret sein wollte und sich erhoben hatte, um die Bibliothek hinunterzuschreiten und bei der Gelegenheit zu gucken, was das für schöne Topfblumen sind, die sich die Mädchen da gerade ansehen, dem Pastor teilte er mit, daß es seine Frau ist, die ihn hier anruft, Marianne, von Frankreich aus, mit der er siebenunddreißig Jahre lang verheiratet sei, und die jetzt wissen will, wie die Sache ausgegangen ist, in die man ihn reingeritten hat. Den Hörer ab-und aufnehmend, dolmetschte Sowtschick zwischen dem Pastor und Marianne, übermittelte Grüße und riet seiner Frau, sie solle ruhig noch etwas dort bleiben, denn jetzt sei die Sache hier ja erledigt.

    Das Gespräch zog sich hin. Während Marianne von Geldausgaben redete, daß sie ein schlechtes Gewissen hat, es sei doch mehr geworden, als zu erwarten gewesen war, stellte Sehgras sich zu den Mädchen und ließ sich die schönen Blumen erklären, mit Stempel, Narbe und so weiter.

    Sowtschick beschrieb seiner Frau ziemlich laut, wie schofelig sich das Dorf benommen habe, die Sache mit dem Alibi. So mancher habe ihn arg enttäuscht in dieser Situation, was Marianne dazu brachte, zu sagen: Er solle nicht so schlecht von den

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