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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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einen großen Kreis um Sowtschicks Haus herum beschrieben, so umkreiste Gabriele ihn im Hause selbst, erheblich enger und in entgegengesetzter Richtung und ohne mit den Hängeglöckchen zu klingeln. Sowtschick wußte: Es ist sinnlos, sich zu verstecken. Ich werde sie empfangen müssen und mir ihren Quark ansehen.

    In jedem Film wären aus so einer Szene Funken zu schlagen: Der alternde Schriftsteller, mit halber Brille auf der Nase, und Deutschlands Jugend in braungebrannter blonder Sportlichkeit davor, stehend, in einem weißen Leinenkleid mit himmelblauen Punkten? – In der Realität sah das aber anders aus. Es war kostbare Dichterzeit, die hier vertan wurde. Sowtschick, der sich darauf vorbereitet hatte, weißes Papier zu befruchten, damit sich das große hölzerne Rad der abendländischen Kultur knarrend weiterdreht, mußte seine auf das Höchste gerichteten Energien an Niederes vergeuden.

    «Nun?» fragte er das Mädchen, nach einer Zehntelsekunde des Zögerns und sich älter gebend und fremd.

    «Ich hab hier mal ’ne Frage», wurde ihm geantwortet, und dann reichte sie ihm das Papier, und er mußte das durchlesen, was ihr wieder mal «so zugeflogen» war.

    Meistens kam er damit durch, daß er sagte: «Aha» und «gar nicht schlecht». Aber: «Samendes All …?» Ein solcher Ausdruck wäre vielleicht doch etwas gewagt, dächte er. Aber nein, eigentlich doch nicht so schlecht. Sogar gut irgendwie. Dann sprang das Löwenheckerchen fröhlich davon, an alle Glocken stoßend, um weitere Zeilen aus Worten zusammenzufügen, was gewöhnlich etwa zwanzig Minuten dauerte. Dann näherte sie sich wiederum vorsichtig, und Sowtschick konnte die Ohren spitzen wie er wollte, er nahm sie erst wahr, wenn sie hinter ihm stand.

    Schließlich fiel ihm einiges ein, um sie dauerhafter von sich fernzuhalten. Er drückte ihr Gedichtbände in die Hand, Arno Holz und Majakowski, und ersuchte sie um Interpretation «heut abend», oder er schickte sie nach oben, die Entwürfe ihrer Gedichte holen, die natürlich gar nicht existierten, da alles, was sie schuf, «aus einem Guß» war, wie sie sagte.

    Die Sache mit den Nebengedichten hatte nur ein einziges Mal funktioniert. Wie über einem Kreuzworträtsel hatte sie gesessen und ein doppeltes Gedicht produziert, eine Art Negativ zum Positiv. Das sei so, als ob man einen andern Gang einlegt, hatte sie gesagt, und Sowtschick erfand in der sich daran anschließenden Besprechung zum Unterbewußtsein noch ein «Nebenbewußtsein» und daß das Unterbewußtsein vom Nebenbewußtsein aus gesehen wie eine Hauptbühne wirke, die sich der Autor selbst vom Zuschauerraum aus mit Handlung füllt. Wundervoll! Doch schon am nächsten Tag war das Heckerchen zur erdigen Ewigkeit zurückgekehrt und zum samenden All, was Alexander nicht wenig verdroß.

    Um endlich Ruhe zu haben, faßte Sowtschick die Sache am dritten Tag grundsätzlicher an. Sobald sie auftauchte, sagte er: «Ah, Gabriele, da bist du ja!» Er drückte ihr eine Polaroidkamera in die Hand und gab ihr den Auftrag, die windschiefen Hütten zu fotografieren, die in der Sassenholzer Börde auf allen Wiesen standen, zum Schutz für das Vieh, wenn’s regnet; romantisch und phantasieanregend. Immer schon hatte ihn daran das Verwilderte, halb Zerstörte gereizt und, warum denn nicht, vielleicht könnte man ja einen Bildband davon machen, gemeinsam, fifty-fifty sozusagen, «Behausungen», das wäre doch ein guter Titel? Oder: «Windschutz».

    Um sie nicht so bald wiederzusehen, gab er ihr gleichzeitig den Auftrag, die Bilder mit einem Spezialkleber auf Karton zu kleben und kurze Texte darunterzuschreiben. Hierfür gab er ihr den Wehrle-Eggers, und er legte ein Lesezeichen ein zum Wortfeld «Haus». Mal von Grund auf die Sache angehen, Haus, Hütte, Katen, Bude, den Unterschied mal abschmecken. Vom Bild und von der Sprache her alles ausloten und das dann komponieren und komprimieren und zum Gedicht erhöhen mit An-, Auf-, Hinter-und Nebenbewußtsein.

    Gabriele rannte wie rasend nach oben, zog sich stilgerecht an und brauste ab in die flimmernde Natur. Daß recht viele Viehunterstände bereits morsch seien, hoffte sie, je mehr in sich zusammenfällt, desto interessanter fürs Dichten. Mit heiler Welt läßt sich nicht viel anfangen.

    Sowtschick setzte sich in den Innenhof und freute sich: Mindestens zwei Stunden Ruhe waren ihm geschenkt. Nächste Woche könnten Hochspannungsmasten folgen und übernächste Woche Zäune. «Kalatschnikoff,

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