Hundsvieh - Kriminalroman
Keller aus.
Erschrocken weiche ich einige Schritte zurück.
»Wohin denn so eilig, Mettler?« Keller kommt langsam auf mich zu, während Fritschi bei der Beifahrertür stehen bleibt und eine Zigarettenpackung aus seiner Tasche zieht.
»Ich dachte, du kennst die Leute nicht!« Meine Begleiterin geht um den BMW herum und beobachtet die Szene amüsiert.
»Der Herr Mettler kennt uns gut«, Fritschi zündet sich die Zigarette an, »doch möglicherweise möchte er sich nicht an uns erinnern.«
»Auch nicht an einen bestimmten Abend, an dem ein Hund verloren gegangen ist!«, zischt Keller wütend. »Aber vielleicht sind Sie ja gar nicht Mettler, vielleicht sind Sie der berühmte Eishockeyspieler Iwan Gryzko?«
»Ich wollte … eigentlich habe ich nur … das heißt …«
Keller packt mich an den Schultern und schüttelt mich. »Hören Sie auf mit dem Theater. Wo ist der Hund?«
Fritschi raucht schweigend und schaut mich böse an.
Meine Begleiterin kommt zu uns hinüber. »Ein Hund? Sie suchen einen Hund? Wieso sagen Sie das nicht gleich. Wir haben keinen Hund bei uns, wollen Sie in meinem Wagen nachschauen?«
Wir gehen voraus, Keller folgt uns zum Wagen.
»Übrigens, gehört dieser Schlüssel Ihnen?« Sie hält Keller einen Wagenschlüssel vor die Nase, zieht ihn weg, bevor dieser zupacken kann, und wirft ihn ins Gebüsch am Parkplatzrand. Und während Keller fluchend hinterherrennt, springen wir in den Mini Cooper und brausen auf die Straße hinaus.
»Hast du sein Gesicht gesehen?« Sie prustet los und steckt mich mit ihrem Lachen an. »Dieser Trick funktioniert immer! Ein angeborener Reflex, es ist wie bei den Hunden, man muss nur ein Stöcklein werfen, schon laufen sie los und apportieren es!«
Vor uns taucht die Abzweigung nach Brienz auf. Meine Begleiterin bremst und hält am Straßenrand.
»Aussteigen, Mettler! Von hier aus musst du sehen, wie du alleine weiterkommst.«
»Wie stellst du dir das vor? Die sind hinter mir her, wenn du mich jetzt rausschmeißt, dann …«
»Meinst du, ich will mit dir erwischt werden?« Sie nimmt eine Zeitung unter ihrem Sitz hervor. Mein Bild ist groß auf der Titelseite. ›Kunsträuber auf der Flucht‹ steht in fetten Lettern darunter. »Los jetzt, deine Bekannten werden bald hier sein. Und vergiss das Spielzeug nicht.« Sie zeigt lachend auf meinen Micro-Scooter.
»Danke für alles!« Ich nehme den Scooter und hetze einen Hang neben der Straße hinauf. Hinter einer Bodenwelle lege ich mich flach hin und schaue auf die Straße hinunter.
Der knallgelbe Mini nimmt die Abzweigung und tuckert im Schritttempo die Straße entlang. Weiter oben heult ein Motor auf, und der BMW von Fritschi und Keller schießt in mein Blickfeld. Nun beschleunigt der Mini, hintereinander jagen die beiden Wagen auf die Ortschaft Brienz am linken Talrand zu.
Schnell laufe ich mit meinem kleinen Scooter auf die Straße zurück, ziehe den Lenker auf die volle Länge aus, damit ich einen besseren Stand habe, und mache mich auf den Weg nach Tiefencastel. Gemütlich fahre ich durch die Frühlingslandschaft. Gras, blühende Blumen, Wald und darüber Berge, ideal für einen Maler, der das Großartige sucht. Ich stelle mir vor, wie Segantini mit einer riesigen Leinwand auf einer solchen Wiese stand, dann mit kleinen Pinselstrichen dieses Zusammenspiel von Licht und Natur auftrug. Im Innern die Gewissheit, dass dieses Spektakel nur so eingefangen werden kann, dennoch auch erfüllt von Zweifeln angesichts der Größe der Aufgabe und der Kleinheit seines Pinselstrichs.
Franz Gertsch, Maler aus Burgdorf im Kanton Bern, wagt sich in der heutigen Zeit ebenfalls an die übergroßen Formate, Leinwände mit mehr als zehn Quadratmetern sind bei ihm die Regel. Auch er arbeitet wie Segantini mit dem ganz kleinen Pinsel, lässt sich Zeit für seine Arbeit, sitzt manchmal ein halbes Jahr und länger an einem Bild. Doch statt draußen in der Natur zu arbeiten, holt er die Landschaft mit Lichtbildern in sein Atelier, projiziert das Dia auf seine Arbeitsfläche und kann so an der Wärme arbeiten. Mich fasziniert bei Künstlern wie Segantini oder Gertsch immer wieder, dass sie sich ganz auf etwas einlassen können, lange und intensiv auf eine einzige Aufgabe fokussieren und nicht das Gefühl haben, angesichts dieser einen großen Leinwand vor sich, angesichts dieses speziellen Ausschnitts aus der Wirklichkeit das pralle Leben irgendwo außerhalb ihres Ateliers zu verpassen. Ich dagegen kann mich nicht festlegen,
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