Hundsvieh - Kriminalroman
Mitreisenden das Problem auf Japanisch, diese sagen etwas und schauen den Beamten bittend an.
»Ich verstehe kein Wort!«
»Sie bitten darum, dass unser Freund hier weiter die Strecke erklären kann. Da haben Sie sicher nichts dagegen?«
Auch das noch. Erst Kunstdieb, nun Reiseleiter für Japaner.
Brummend geht der Kondukteur weiter.
»Gute Geschichte, oder nicht?«
Kauend nicke ich.
»Was denken Sie von uns Japanern?«
Eigentlich habe ich mir noch nie große Gedanken über dieses reisefreudige Volk von Fotografen und Filmern gemacht, das wie ein Insektenschwarm die eindrücklichsten Orte unseres Landes abgrast, und dies in möglichst kurzer Zeit. Luzern, St. Moritz, Zermatt mit dem Matterhorn, dann weiter nach Rom oder Paris.
»Sie machen gute Autos, gute Geräte«, sage ich unverbindlich.
»Und Ihr Schweizer macht gute Uhren, gute Schokolade.« Kubashi grinst. »Arbeiten Sie in einer Schokoladen- oder Uhrenfabrik, Mister Mettler?«
Ich schüttle den Kopf.
»Sehen Sie, genauso ist es bei uns. Wir arbeiten auch nicht alle bei Toyota oder Sony.«
Der Zug hält in Bergün. Ich stehe auf, nehme meinen Rucksack, steige aus. Kubashi steht an der Tür und lächelt.
»Mister Mettler! Ich erwarte Sie dann morgen in St. Moritz. Mit dem Hund.«
Der Mann hat vielleicht Nerven! »Haben Sie sonst jemanden gebeten, Ihnen den Hund zu besorgen?«
Der Zug setzt sich in Bewegung, Kubashi und die anderen Japaner stehen an den Panoramafenstern und winken mir freundlich zu. Eine Antwort erhalte ich nicht.
Bahnhof Bergün, es ist kalt, hier oben kann der Frühling sich noch nicht so richtig durchsetzen. Die wenigen Reisenden, die mit mir den Zug verlassen haben, sind in Richtung Dorf verschwunden. Was nun?
Meine Verfolger Keller und Fritschi aus dem Museum habe ich vorläufig abgehängt, der Zug mit Tashi Kubashi quert weiter oben den Hang und nähert sich den ersten Kehrtunnels in Richtung Engadin. Wieso bin ich eigentlich nicht sitzen geblieben? Ist das Maiensäss von Reto Müller wirklich eine gute Lösung? Wenn ich den nächsten Zug nehme, kann ich schon heute Abend bei Mona sein!
Ach Mona!
Weiter drüben steht eine Telefonkabine. Mit zitternden Fingern schiebe ich Münzen in den Schlitz, dann wähle ich die Nummer.
»Hallo!«
Die Wärme ihrer Stimme durchflutet mich.
»Hallo, ist da jemand?«
»Ich bin’s, Mona, ich stecke ganz schön in der Klemme, hast du die Zeitung heute schon gesehen?«
»Aber sicher, Claudio. Sag mal, spinnst du eigentlich?« Die Temperatur von Monas Stimme ist mindestens um 20 Grad gefallen.
»Aber ich war’s nicht, das musst du mir glauben.«
»Das glaube ich dir gern, Claudio, dazu bist du doch nicht fähig. Aber dass du am ersten Tag an deinem neuen Arbeitsplatz in so einen Schlamassel gerätst, ist irgendwie typisch.« Sie lacht bitter. »Dabei hat Müller gesagt, im Kunstmuseum gäbe es den idealen Job für dich, da könntest du nichts falsch machen!«
»Was hat Müller damit zu tun?« Nun wird mir wirklich kalt.
»Müller hat mich vorgestern angerufen und gesagt, in der Zeitung sei dieses Stelleninserat, für diesen Job solltest du dich bewerben. Da habe ich sofort in Chur angerufen.« Mona macht eine Pause. »Ist was, Claudio?«
»Nein, nichts, ich habe mir nur gerade etwas überlegt.«
»Claudio, melde dich bald wieder!«
Ihre plötzliche Fürsorglichkeit freut mich. »Weißt du was, Mona? Ich steige in den nächsten Zug und komme zu dir.«
Stille, ein Seufzen. »Das ist wohl nicht die beste Idee! Schau zuerst, dass du eine Probleme lösen kannst. Dann sehen wir weiter!«
»Wenn du meinst!«, gebe ich ungehalten zurück.
»Bald ist alles wieder in Ordnung, du wirst sehen! Pass auf dich auf, Claudio. Ciao!«
Ich warte, bis sie weg ist, dann hänge ich auf.
Nichts ist in Ordnung! Ein leichter Schwindel hat mich erfasst. Trotz der Abendkühle fließt mir der Schweiß aus allen Poren. Benommen lehne ich mich an das kühle Glas der Kabine. Was hat Reto Müller mit der Sache zu tun? Wieso ruft er Mona an, damit sie mich nach Chur ins Kunsthaus zur Arbeit schickt? Warum hat er mich nicht selbst auf den Job aufmerksam gemacht? Wusste er, dass Mona darauf erpicht war, mich endlich an einem seriösen Arbeitsplatz unterzubringen?
Wenn ich Müller das nächste Mal sehe, wird er mir einige unangenehme Fragen beantworten müssen.
Im Moment habe ich zwei Möglichkeiten. Ich kann den nächsten Zug ins Engadin nehmen, allerdings bin ich bei Mona nicht willkommen. Dann ist da
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