Hundsvieh - Kriminalroman
nicke demütig. Der Service public, der Dienst am Kunden, das ist ein von Politikern gern und oft benutztes Schlagwort, wenigstens so lange dieser Service nichts kostet. Wenn aber eine Poststelle in einem entlegenen Tal nicht rentiert, dann zeigt es sich schnell, ob die vollmundigen Versprechungen nur leere Lippenbekenntnisse waren.
»Auf der anderen Seite soll die Post aber auch menschlich sein, der gute Briefträger, der die Post bis ans Haus bringt, die Schalterbeamtin, die einer betagten Dame beim Ausfüllen eines Formulars hilft, so sieht die Öffentlichkeit ihre Post. Die Post ist stolz darauf, ein Teil dieses Landes zu sein, eine unverzichtbare Institution, ein Fels im allgemeinen Wandel und Zerfall der Werte. Menschlichkeit statt Habgier, Gemütlichkeit statt Globalisierungswahn.« Raselli nickt mir zu. »So ist das, Mettler. Die menschliche Ökonomie, es darf sich lohnen, für andere da zu sein.«
»Und was ist mit mir? Ich meine, wie geht es jetzt weiter?«
»Was stehen Sie noch herum, Mettler, gehen Sie nach Hause, packen Sie Ihre Sachen, verabschieden Sie sich von der Familie, ich werde das Nötige veranlassen, kommen Sie morgen früh wieder. Wir sind ein sozial eingestellter Betrieb, verstehen Sie, die Post schaut auf ihre Leute!«
Raselli lächelt, nickt mir zu, als ich aufstehe, mich verabschiede. Mit wichtiger Miene zieht er das Telefon zu sich heran.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich Pech mit einer Arbeitsstelle habe. Eigentlich hatte ich immer Pech, wenn ich mich zu einer seriösen Arbeit überreden ließ. Eine feste Anstellung hatte ich noch nie, dazu fürchtete ich mich zu sehr vor dem Eingesperrt-Sein in ein Leben, das vielleicht nicht mein eigenes ist.
So habe ich schon als Skilehrer, Wanderleiter, Möbelpacker und Aushilfsschreiner gearbeitet, habe Gartenarbeit verrichtet, behinderte Menschen betreut und Brennholz gesägt. Immer etwas anderes, nie etwas Festes. Aber Spaß hatte ich jede Menge. Hauptsache, es gab etwas Geld, das ich unter die Leute bringen konnte.
Ein Sparkonto hingegen gibt es keines, auch habe ich keine Zukunftspläne, die Gegenwart reicht mir völlig! Meine Eltern wären wohl kaum stolz auf meine Arbeitsleistung, das war mir aber nie wichtig. Ich nehme an, dass sie mich auch so lieben und ziehe es vor, sie nicht zu fragen.
Da ist Mona anders. Mona, die eine eigene Wohnung hat, eine gute Stelle bei der Bank, einen Wagen, schöne Möbel, tolle Kleider. Mona, die so ganz anders ist als ich. Mona, die ich so sehr liebe. Mona, die Ansprüche stellt, Mona, die Erwartungen hat und wecken will. Mona mit ihrem geregelten Leben. Mona und eine gemeinsame Zukunft.
Nur wegen Mona hatte ich mich bei der Post beworben.
Das Teewasser pfeift, ich drehe das Radio lauter.
»… und bereits die ersten Fälle von Maul- und Klauenseuche sind auch in Baden-Württemberg aufgetreten. In einem Umkreis von mehreren Kilometern um die betroffenen Höfe mussten alle Kühe notgeschlachtet werden. Wie die Schweizer Oberzolldirektion mitteilt, gilt nicht nur für Fleisch, sondern auch für lebende Tiere aus Deutschland ein absolutes Einfuhrverbot …«
Vorsichtig gieße ich das heiße Wasser über die Teeblätter und stelle den Timer.
»Was für ein Glück für dich!« Mona hat sich neben mich gestellt, ihr Kopf lehnt an meiner Schulter. »Du darfst drei Wochen zur Kur. Wann fährst du?«
»Morgen, Raselli will das Nötige veranlassen.« Der Timer klingelt nach genau drei Minuten und 20 Sekunden. Ich nehme das Teesieb heraus, stelle die Teekanne aufs Tablett und trage es ins Wohnzimmer. Vorsichtig fülle ich zwei Tassen. Das Aroma verbreitet sich im Raum.
»Drei Wochen …« Mona nippt an ihrem Teeglas und stellt es dann weg.
»Da haben wir vorher noch einiges zu erledigen, glaubst du nicht auch, Claudio?«
Sie schmiegt sich an mich und beginnt, meine Hemdknöpfe zu öffnen.
Das Aroma des Tees verbreitet sich im Wohnzimmer, ich schließe die Augen, stelle mir die Landschaft Darjeelings vor, höre die Lieder der Teepflückerinnen. »Weißt du noch, damals in Indien?«
Mona nimmt mir das Teeglas aus der Hand und zieht mich zu sich auf den Teppich. »Was gefiel dir besser, die Ratten oder die Kakerlaken?« Sie beißt mich ins Ohr.
»Die Teeplantagen im Nebel …« Meine Hand wandert über ihren Rücken, ich sehe das satte Grün der aufsteigenden Hügel, die Nebelschwaden, die aus dem Tal heraufziehen, höre das Geschnatter der Affen – plötzlich durchzuckt mich ein Schmerz, und
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