Hundsvieh - Kriminalroman
als wenn ein Blitz eingeschlagen hätte, krümme ich mich zusammen. Die Teeplantage verschwimmt, ich drehe mich von Mona weg, meine Hände reiben rasch über die schuppige Haut der Unterschenkel, verschaffen mir eine kurze Linderung, dann juckt es noch stärker.
Mona hat unterdessen den Fernseher eingeschaltet, es läuft ein Dokumentarfilm über Fleisch und unsere Essgewohnheiten.
»Bist du mir böse, Schatz?«
Sie dreht den Ton lauter.
»Der Arzt hat mir Tabletten gegeben, ich könnte jetzt eine nehmen, was meinst du?«
Starr blicken ihre Augen auf die Mattscheibe.
3.
»Ihr Zug fährt in einer Stunde, Mettler.« Franco Raselli drückt mir die Fahrkarte in die Hand. »Und hier ist die Adresse der Pension, natürlich konnte ich Sie nicht ins Kurhaus schicken, das wäre versicherungstechnisch zu kompliziert, verstehen Sie?«
Rasellis Rede perlt von mir ab. Meine Gedanken sind bei Mona, heute Morgen hat sie mich nicht einmal geweckt, sie war weg, als ich aufstand. Mit Lippenstift hatte sie auf den Badezimmerspiegel geschrieben: »Ruf mich an, wenn es dich nicht mehr juckt …« Die drei Punkte leuchteten wie frische Blutstropfen.
»Dann wünsche ich Ihnen eine gute Genesung!« Raselli drückt mir die Hand. »Auf Wiedersehen in drei Wochen!«
Val Pers. Ein rätoromanischer Name. Das verlorene Tal. Nicht wirklich geschäftsfördernd für einen Kurort, finde ich.
Am besten erreicht man das Val Pers vom Oberengadin her über die Albulastrecke. Umsteigen in Filisur, dann geht die Fahrt weiter nach Davos. Ziemlich umständlich. Es wird Zeit, dass der Vereinatunnel endlich fertig wird. Am Bahnhof Klosters steigt man dann aufs Postauto um. Alle zwei Stunden fährt ein Bus vom mondänen Ferienort in das kaum bekannte Seitental.
Erst ist das Val Pers eng und schmal, den schattigen Einschnitt zwischen zwei schroffen Felswänden teilen sich ein schäumender Bach und die Straße. Dann, nach etwa drei Kilometern, öffnet sich das Tal. Sattgrüne Wiesen, weit verstreute Höfe. Ein kleines Dorf.
Der Bus hält. Ausserpers. Die wenigen Fahrgäste, die in Klosters eingestiegen sind, verlassen hier, beladen mit schweren Einkaufstaschen, den Bus. Nach einem kurzen Halt auf dem Dorfplatz geht es in steilen Kehren durch ein dicht bewaldetes Felssturzgebiet.
Dann öffnet sich eine weitere Ebene, darüber steile, dicht bewaldete Abhänge, die einen großen Kessel bilden. Drohend der Hängegletscher des Piz Pers, daneben schwarz und mächtig der Muot Mora.
Und an einen Hügel gekauert liegt Innerpers.
»Wollen Sie hier übernachten?« Der Chauffeur gibt mir meine Tasche.
»Ja. Wo finde ich die Pension Aurora?« Ich strecke meine Glieder.
»Die Pension Aurora?« Er zündet sich umständlich eine Pfeife an. »Das ist keine gute Adresse, wirklich nicht, wenn Sie meinen Rat wollen …«
Langsam macht er mich wütend. »Ich suche die Pension Aurora, keinen Rat.«
»Dort hinten. Aber sie ist geschlossen, die Saison beginnt erst im Juni!«
»Geschlossen? Unmöglich, ich habe hier die Reservationsbestätigung!«
»Wenn Sie meinen.« Zufrieden paffend lässt der Chauffeur eine große Rauchwolke in den Abendhimmel steigen. »Überzeugen Sie sich selbst, junger Mann.«
Auf dem Weg hinüber zum Restaurant Krone dreht er sich noch einmal um. »Und überlegen Sie es sich gut. Ich fahre in einer halben Stunde zurück!«
4.
Die Gassen von Innerpers sind leer, wie ausgestorben, kein Mensch, kein Tier und auch kein Fahrzeug ist auf den staubigen Straßen zu sehen.
›Pension Aurora‹ steht auf einem Schild an einem verwitterten Holzhaus, das dringend einen neuen Anstrich braucht. Vergeblich klopfe ich. Die Tür ist verschlossen. Ich gehe um das Haus herum und durch den Garten. Alle Fensterläden sind geschlossen, die Gartenmöbel sind in einer Ecke aufeinandergestapelt und mit einer Plane zugedeckt, überall vermodertes Laub, das Haus scheint seit Monaten unbewohnt zu sein.
Hat mir Raselli die falsche Pension angegeben? Ich sollte ihn anrufen. Vielleicht wäre es sogar das Beste, gleich nach St. Moritz zurückzukehren. Einen Moment noch bleibe ich am Gartenzaun stehen und überlege.
Ein Fensterladen öffnet sich knarrend einen Spaltbreit. »Was machen Sie da?«, ruft eine heisere Frauenstimme.
»Ich?« Verlegen rolle ich mein Hosenbein wieder runter. »Nichts, ich wollte bloß … Eigentlich suche ich ein Zimmer.«
Der Fensterladen öffnet sich ganz. Eine weißhaarige Frau mit wachen Augen mustert mich mit spöttischem Blick.
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