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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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einem kleinen Tisch neben dem des britischen Offiziers ein weiteres
Bier serviert.
    Auch Major Miller schaute interessiert in die
Richtung.
    »Haben Sie einen Bekannten entdeckt?«,
fragte Karl.
    »Ja. Einen Colonel aus
Braunschweig, den ich im Sommer in Tempelhof über Reparationsfragen interviewt
habe.«
    Ein befrackter Kellner brachte eine
Flasche Bordeaux und entkorkte sie. Der Major musste erst einen Schluck
probieren, bevor ihnen eingeschenkt wurde.
    Das Orchester begann Tanzmusik zu
spielen. Die ersten Paare schlenderten zur Tanzfläche. Miller und Karl stießen
mit den Weingläsern an. Fast jeder Platz im Oriental war
jetzt besetzt, aber noch immer trafen weitere Gäste ein.
    Eine blonde Frau am Tisch des Colonels hatte
sich umgedreht und winkte einen Kellner heran. Sie trug ein tief
ausgeschnittenes, langärmeliges, sehr kurzes schwarzes Wollkleid und darunter
eine eng anliegende dunkle Hose. Neben ihr saß ein glatzköpfiger Herr.
    Karl erstarrte, erhob sich wie in Trance
und murmelte: »Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment, Major. Ich kenne da
auch jemanden.«
    »Nur zu, Mister Charles. Ich frage
unterdessen Burns, ob er später mal nach der Heizung vom Horch sehen kann.
Vielleicht hat sich ja nur so ein verdammter Schlauch hinter der Armatur
gelöst.«
     
     
    Karl schlängelte sich durch die
Tischreihen, dann bemerkte die Frau auch ihn. Sie sprang auf und stürmte
freudig auf ihn zu. »Mein Gott! – Karl!«
    »Birgit! Ich dachte, ich seh nicht
recht!«
    Sie umarmten sich.
    »Mensch, Karl, weißt du, dass du der
Erste bist, den ich von früher wiedertreffe?«
    »Geht mir auch so, Birgit.«
    »Sag mal, was ist mit Vera?«
    Karl zuckte resigniert mit den Achseln.
»Weiß ich nicht. Verschollen, umgekommen, keine Ahnung. Hab alles Mögliche
versucht, es herauszufinden. Ohne Ergebnis bis jetzt. Leider.«
    Birgit Kellner nickte. »Ich verstehe dich
nur allzu gut. Meine zwei jüngeren Brüder sind beide vermisst, der älteste ist
tot. Stalingrad. – Opa Gieseckes Künstlereck existiert auch nicht mehr.
Ich wollte mich dort nach Vera erkundigen. Der gesamte Häuserblock ist weg.«
    »Ich weiß. Ich war ebenfalls da.«
    »Und wie schlägst du dich so durch, Karl?
In dem dürftigen Rest, der vom Adlon übrig geblieben ist, arbeitest du
ja bestimmt nicht mehr.«
    »Nein. Ich hab etwas auf dem Flugplatz
Tempelhof gefunden, als Dolmetscher bei den Amis.«
    »Das freut mich. Dann schiebst du
zumindest keinen Kohldampf. Ihr kriegt doch alle Lebensmittelkarte I, oder?«
    »Ja. – Und du? Trittst du manchmal wieder
auf?«
    »Ganz selten. Deshalb bin ich eigentlich
ins Oriental gekommen. Herr Schwarz«, Birgit deutete auf den
Glatzköpfigen am Tisch des britischen Colonels, »betreibt in Schöneberg
eine Künstleragentur. Er will mich später dem Besitzer hier vorstellen.«
    »Kennst du den denn nicht? Der hat schon
im alten Oriental gearbeitet. Hofmann, Benno Hofmann. Er war da der
Doorman.«
    »Nein. Ich weiß zwar, dass Vera dort
gelegentlich mit einer Solo-Rollschuhnummer aufgetreten ist, aber ich nie.«
    »Wovon lebst du? Siehst übrigens gut aus.
Ein bisschen mager wie alle derzeit, aber nicht so, als wärst du gerade am
Verhungern.«
    »Ach, ich kellnere in einer Kneipe in
Reinickendorf. Ich war ja vor den Wenduras lange auf Tournee in Frankreich und
spreche die Sprache einigermaßen. Wir haben viele französische Soldaten als
Kunden. Nicht unbedingt ein rosiger Broterwerb, aber immerhin muss ich nicht
Steine klopfen gehen, und das Geld stimmt auch.«
    »Du hattest dich doch im letzten
Kriegsjahr noch mit einem Piloten von der Lufthansa verlobt, erinnere ich
mich.«
    Birgits Lippen wurden schmal, aber sie
wich Karls Blick nicht aus. »Auch tot.«
    Karl konnte nicht weiter nachfragen, denn
Benno, der sich neben den Glatzkopf gesetzt hatte, drehte sich zu ihnen um.
    »Karlchen, könnteste uns mal die hübsche junge Dame
für ‘ne Weile ausborjen?«
    »Gerne!« Karl begleitete Birgit zum
Tisch. »Das ist übrigens Fräulein Kellner, Benno, die andere von den Wendura-Schwestern.«
    »Wat? ‘ne Kollegin von
Vera?«
    »Ja.«
    Birgit und Benno schüttelten sich die
Hand.
    »Ick höre jrade von Heribert, det Se wat suchen,
wo Se ufftreten können. Wat machen Se denn so?«
    »Boden- und Rollschuhakrobatik.«
    »Aha! Solo?«
    »Notgedrungen.«
    »Und wat jenau?«
    Anstelle einer Antwort schob Birgit zwei
Stühle am Rand der Tanzfläche weg und fiel in den Spagat. Das, was Karl für
eine eng anliegende Hose

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