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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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britische
Armeeärztin Uniform. Die meisten der nicht militärischen Herren kannte Karl vom
Sehen, weil sie Bennos »Geschäftsfreunde« waren. Und die, die er nicht kannte,
gehörten kaum zur frierenden, hungernden Bevölkerung der Stadt. Ein Mann an
einem Tisch neben der Tanzfläche schenkte seiner Begleiterin Sekt ein.
    In dem rechteckigen Raum gab es ungefähr
achtzig Sitzplätze an verschieden großen runden Marmortischen, die in einem
Halbkreis um die Tanzfläche vor dem Orchesterpodest angeordnet waren. Kalt war
es auch nicht. Ein riesiger Kachelofen am Gang zu den Toiletten ver strahlte
eine wohlige Wärme. Ein paar Männer, die in seiner unmittelbaren Nähe saßen,
hatten sogar ihre Jacketts ausgezogen und die Krawattenknoten gelockert.
    Über der Tanzfläche rotierte wie im alten Oriental eine medizinballgroße Kugel, die mit winzigen farbigen
Glas- und Spiegelscherben beklebt war. Die Reflexionen der Kerzenflammen
verteilten sich wie Konfettiregen über die Gäste. Fünfzehn weitere Plätze
fanden sich am Tresen gleich neben der Eingangstür. Für die Theke hatten Benno
und Lilo original amerikanische Barhocker aufgetrieben. Auf dem Podest spielte
ein fünfköpfiges Männerorchester ruhige Jazzmelodien.
    »Wellkamm, Mista Milla! – ‘n Abend,
Karlchen!«, begrüßten der Wirt und seine Frau ihre Gäste. »Wir harn für euch
beede ‘nen Tisch anner Tanzfläche freijehalten.«
    Benno ging voran. Miller nickte Leutnant
McCullen und Sergeant Burns im Vorbeigehen nur zu und bedeutete ihnen mit einer
Geste, sitzen zu bleiben. Der russische Oberstleutnant hob beim Anblick des
amerikanischen Waffenbruders zackig sein Glas. Der Major erwiderte den Gruß
durch ein angedeutetes militärisches Salutieren. Der Mann in dem schlichten
grauen Anzug bestellte ein Bier.
    »So, da wärn wa!« Benno klopfte auf die Tischplatte
und strahlte vor Stolz übers ganze Gesicht. »Echta Marmor, wie früher!«
    Miller sah sich in der Tat beeindruckt um
und zeigte dann auf die Kugel: »Wie sind Sie denn bloß an das Teil gekommen?
Ich dachte immer, das alte Oriental wurde total zerstört.«
    »Det is ooch nich die olle Kugel, Major. Det is
wochenlange Heimarbeit von meenem Liselottchen. – Wein oder Sekt, die Herren? Jeht
heute allet uffs Haus. Ick kann den roten Bordoh bestens empfehlen. Klasse
Qualität!«
    »Wenn Sie uns dazu raten, dann nehmen wir
den«, sagte Miller, »oder würden Sie lieber Sekt trinken, Mister Charles?«
    Karl verneinte und musste innerlich
lachen. Das mit der Qualität stimmte. Der Wein stammte aus Beständen des
Offizierskasinos in der Reinickendorfer Napoleon-Kaserne. Er selbst hatte dem
fotografierbesessenen französischen Leutnant, dem Benno bereits eine Leica
verscherbelt hatte, für die Bordeaux-Kisten mehrere Wechselobjektive übergeben.
    Benno entschuldigte sich bei Miller und
Karl, da ein weiterer Gast das Oriental betrat. »Det Jesicht musste dir merken, Karlchen, falls de den
mal bei dir uffem Fluchplatz treffen solltest«, raunte er seinem Freund zu.
»Der macht neuerdings Kohle ohne Ende mit seenen Bautrupps da.«
    »Wie heißt er?«
    »Ick weeß nur den Vornamen. Hotte heeßt
er. Vorher war er dick am Reichstag im Jeschäft, weil er jut Russisch kann. Mit
Wassilinski hatte er meenet Wissens ooch wat zu schaffen.«
    Benno entfernte sich in Richtung
Eingangstür, Karl musterte den Neuankömmling. Er mochte Mitte, Ende vierzig
sein, war schlank, ohne dürr zu wirken, machte einen sportlich trainierten
Eindruck. Er trug einen gut geschnittenen, dunklen Flanellanzug, der aussah,
als wäre er maßgeschneidert. Karl hatte in Tempelhof berufsbedingt viel mit
deutschen Firmen zu tun, die für die Amerikaner arbeiteten, aber dieser Mann war
ihm weder dort noch jemals auf einem der Schwarzmärkte begegnet. Dennoch hatte
er ihn irgendwo schon einmal gesehen. Karl vergaß selten ein Gesicht, die
langen Jahre als Hoteldetektiv hatten ihn darin geschult. Es musste eine sehr
flüchtige Begegnung gewesen sein, dass er sich an die Umstände nicht mehr
erinnern konnte.
    Der Bauunternehmer grüßte den Genossen
Oberstleutnant mit einem beiläufigen, kaum erkennbaren Nicken, als er dicht an
Wassilinski vorbei mit Benno zu einem großen Tisch in einer Saalecke zusteuerte,
wo bereits ein englischer Colonel saß. Neben dem Tisch stand eine Gruppe
Frauen und Männer, die sich einander vorstellten und danach zu dem Colonel gingen.
Der Mann vom Tresen mit dem grauen Anzug hatte den Platz gewechselt und bekam
soeben an

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