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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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etwas Wildes, Unbotmäßiges, was sie sogleich Verdacht schöpfen ließ, wenn er unter ihre vaterländischen Augen kam, und er verachtete ihre Unterwürfigkeit, mit der sie den »Herrn Kommissär« zum Weiterfahren aufforderten, wenn sie einen Blick in seinen Ausweis geworfen hatten.
    »Alles Untertanen«, sagte er, »die ganze helvetische Freiheitsbrigade. Die sollte man alle in Achtungstellung auf einen Eisberg stellen, der im Atlantik nach Süden treibt und langsam schmilzt.«
    Hedwig lachte. »Reg dich ab, wir sind in Frankreich.«
    »Das ist doch der blanke Hohn«, ereiferte er sich, »dieses Arschloch steht im Schneesturm draußen wie die letzte Wacht am Rhein. Alle fahren um diese Zeit aus der Schweiz heraus, niemand fährt hinein. Aber der ist zu blöd, sich ins Zollhäuschen zu setzen und die Zeitung zu lesen.« Er nickte grimmig vor sich hin. »Was soll das überhaupt?«, schimpfte er. »Die EG steht vor der Tür, die Grenzen werden geöffnet, aber dieser Wachhund meint noch immer, er müsse die Schweiz verteidigen. Gegen wen denn, gegen wen? Gegen die Bourbaki-Armee vielleicht?«
    Er hämmerte auf das Steuerrad, und dann musste er so scharf abbremsen, dass sich der Wagen zum Straßenrand hin drehte. Der Motor starb ab.
    »Das war eine lange Rede«, sagte Hedwig, »und ein kurzer Stopp. Im Grunde bist du eben doch ein Choleriker.«
    Hunkeler kochte. Nervös drehte er den Anlasser, der Wagen fuhr stotternd an. Das war die Höhe, dieser Schwachsinn. Da stand ein gutbezahlter Staatsbeamter im Schneefall draußen und schaute zu, wie die über 20 000 französischen Grenzgänger zurück ins Elsass fuhren. Aber wenn die Polizei einige Mann mehr verlangte, um endlich eine minime Chance gegen den Drogenhandel zu haben, war Ebbe in der Staatskasse. Und wenn man sich darüber empörte, weil man ein Mann mit Moral und Gewissen war, wurde man von der Frau, mit welcher man netterweise hin und wieder schlief, ausgelacht und als Choleriker beschimpft. Er hätte Lust gehabt, voll aufs Gaspedal zu treten und den Wagen durch die eisige Kurve in den Schneewalm hineinkrachen zu lassen. Selbstverständlich war er ein Choleriker. Und er hatte vor, noch möglichst lange ein Choleriker zu bleiben.
    In Hegenheim teilte sich der Verkehr. Einige bogen nach links ab Richtung Hagenthal in die Hügel hinauf, die andern fuhren nach rechts die Rheinebene hinunter. Das alles ging freundlich vor sich, in angenehmer Sachlichkeit, der sich Hunkeler nicht entziehen konnte. Und obwohl ihm diese Gegend seit Jahren vertraut war, gefiel sie ihm plötzlich so, als sähe er sie zum ersten Mal.
    In Hésingue vor dem einzigen Rotlicht weit und breit fragte er: »Wie ist’s in der Schule gegangen?«
    »Ach so«, sagte sie, »geht’s besser?«
    »Ich meine ja nur. Entschuldigung.«
    »Sechs türkische Kinder«, sagte sie, »drei spanische, vier irgendwoher aus Jugoslawien, drei aus Vietnam, zwei aus Griechenland, und alle in einer Klasse, zusammen mit acht aus der Schweiz. Wie willst du da unterrichten? Ein Grieche hat heute ein Stellmesser mitgebracht, ein siebenjähriger Knirps. Und einer aus dem Kosovo hatte eine Steinschleuder bei sich, mit der kann er einen Kieselstein weit über das Schulhaus schießen. Er hat es mir gezeigt.«
    »Steinschleudern hatten wir auch«, sagte Hunkeler, als er bei Grün durchfuhr und Richtung Hügel abdrehte, »damit haben wir auf Amseln und Spatzen geschossen. Auf Meislein und Rotschwänzchen nicht, aber auf Amseln und Spatzen. Stellmesser hatten wir nicht. Wozu auch?«
    »Das frage ich mich auch«, sagte Hedwig.
    »Wir sind nicht schuld. Wir tragen die Verantwortung nicht.«
    »Die müssen zuerst Deutsch lernen«, insistierte Hedwig, »damit sie sich in der Klasse und mit mir verständigen können. Aber darum kümmert sich niemand.«
    »Ach was. Die lernen das, was sie lernen müssen, von selbst.«
    »Nein, das ist eine Katastrophe. Sie wachsen im Niemandsland auf. Ihre einzige Heimat ist der Fernseher.«
    »Gut«, sagte Hunkeler, der den Stutz hinauffuhr, sorgfältig das Gas dosierend, damit die Räder nicht durchdrehten, »nehmen wir an, es ist eine Katastrophe. Und jetzt? Gehn wir essen oder nicht?«
    »Aber sicher gehn wir essen. Was meinst du denn? Das hat doch damit nichts zu tun.«
    Auf der Hochebene bei Trois Maisons blies ein bissiger Nordwestwind. Er zerrte am Auto, riss es plötzlich nach links, ließ es dann wieder los, so dass es fast in die Schneewehen rechts glitt. Das war wie eine Bootsfahrt auf

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