Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
stürmischem Meer, und in Hunkeler erwachte der Seemann. Er steuerte sanft und bedächtig, er hielt geradeaus auf die Rücklichter des Vorderwagens wie auf einen Leuchtturm zu, und wenn ihm ein passendes Lied eingefallen wäre, hätte er gesungen.
Das Haus, das er vor Jahren gekauft hatte (mit billigen französischen Francs), bestand aus einer halb verfallenen Scheune und einer kleinen Wohnung. Zwei Katzen standen davor, als er auf dem Vorplatz parkte, schnurrend, die Schwänze hochgerichtet.
Die Stube war eiskalt. Hunkeler war seit über zwei Wochen nicht mehr hier gewesen. Es war ihm immer etwas dazwischengekommen, ein später Einsatz in der Rheingasse, Schneebergers Geburtstag mit einem stinklangweiligen Essen im Freundeskreis oder schlicht ein Bier im Sommereck.
Er holte Holz in der Scheune, in die der Wind pfiff, und trug es in die Stube. Er schob eine zerknüllte Zeitung in den schweren Eisenofen und legte zerkleinertes Tannenholz darauf. Als die Flammen loderten, ließ er durch die obere Öffnung dicke Buchenscheite hineinfallen und schloss wieder zu. Die untere Tür ließ er offen, damit genügend Zugluft in die Flammen fuhr und sie nährte. Er setzte sich an den Tisch und rauchte langsam und genussvoll die erste Zigarette seit der Sauna. Er hörte die Flammen im Ofen, er spürte die Hitze aus dem massiven Gusseisen in den kalten Raum aufsteigen, er hörte irgendwo im Dorf einen Hund bellen. Dieser Ofen war das Zentrum des Hauses, er war die Feuerstätte, um die sich das Leben lagerte an diesem kalten Winterabend.
Er erhob sich und schloss die untere Ofentür bis auf einen Spalt weit zu, damit das Buchenholz schön langsam verglühen und seine gewachsene Wärme abgeben konnte.
Draußen stand Hedwig unter dem weit vorspringenden Dach und schaute zu, wie die Katzen fraßen.
»Los«, sagte Hunkeler, »gehn wir zu Jaeck und essen wir Wildschweinpfeffer mit Rotkohl, Äpfeln und Kastanien.«
Als sie kurz vor elf von Jaeck heimfuhren über die schmale Straße zwischen den beiden Dörfern, sang Hunkeler das schöne, alte Lied »Auf, Matrosen, zur See!«. Er kam aber nicht weit damit, denn er wusste nur die ersten paar Wörter auswendig, bis zu »goldenen Sternen«. Zudem musste er aufpassen, dass ihn der Nordwest nicht von der Straße trieb. Es war tatsächlich wie in seiner Jugend, er saß auf dem Schneepflug, der vom Motor durch die verschneite Pracht gezogen wurde.
Die Stube war wohlig warm. Peter legte noch einige Holzscheite nach. Dann stiegen sie ins hohe Bett, umarmten sich sorglos und gaben sich warm, so wie das die Menschen in solchen schwarzen Nächten von alters her getan haben.
In dieser Nacht wurde Basel eingeschneit wie seit Menschengedenken nicht mehr. Es schneite auf Straßen und Dächer, auf Gärten und Fluss. Die Flocken fielen echt grenzüberschreitend auf die ganze Rheinlandschaft, auf die drei Sonnenberge namens Belchen, den Belchen im Jura, den Belchen im Schwarzwald und den Belchen in den Vogesen. Der Schnee legte sich auf die drei Mondberge namens Blauen, den Blauen in den Vogesen, den Blauen im Schwarzwald und den Blauen im Jura. Die ganze oberrheinische Mulde wurde samt den umliegenden Bergen zugeschneit, als wäre sie ein Stück Grönland, und die Blaulichter blitzten über die Straßen.
Die Basler Schneeräumungsmannschaft war hoffnungslos überfordert. Es gelang ihr mit Mühe, die Hauptverkehrsadern offen zu halten. Die Nebenstraßen konnte sie nicht mehr pflügen, die Flocken fielen zu dicht. Zudem wurden mehrere Dutzend Bäume zu Boden gedrückt und entwurzelt, so dass sie die Fahrbahn blockierten. Es war schon um Mitternacht abzusehen, dass der folgende Morgen das Chaos bringen würde. Wer draußen in den Vorortgemeinden an einer abgelegenen Straße wohnte, in einem dieser putzigen Einfamilienhäuschen mit Bastelraum und der gähnenden Langeweile abgestandener Zweierbeziehungen, würde entweder zu Hause bleiben oder mit zwei, drei Stunden Verspätung am Arbeitsplatz erscheinen. Die Maschinen in Werkstätten und Fabriken würden nur zum Teil anlaufen, und Lehrerinnen und Lehrer würden vor ungewohnt kleinen Klassen stehen.
In dieser Nacht erhob sich kurz nach drei Uhr im Zimmer 125 des Hotels Drei Könige der Drogenkurier Guy Kayat von seinem Bett und trat ans Fenster. Draußen floss der Rhein, von dichtem Geflocke zugedeckt. Am gegenüberliegenden Ufer war nichts zu sehen, kein Baum, kein Licht. Unten lag der schmale Treidelweg. Nichts rührte sich dort, kein Fischermann
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