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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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dir aber nicht zu lange. Ich melde mich wieder. Bleib sauber, mein Freund, und bitte keine Polizei. Begriffen?«
    Man hörte den Atem des fremden Mannes, der offenbar Tabakrauch ausstieß. »Begriffen?«
    »Ja«, flüsterte Erdogan.
    »Gut, ich bin stärker als du. Viel stärker. Das musst du einsehen.« Er legte auf.
    Erdogan stand da, im Pyjama mit nackten Füßen, den Hörer in der Hand, und schaute Erika an, die wortlos zugehört hatte. Von draußen war die Fräsmaschine aus der Schreinerei zu hören, ein hoher, sirrender Ton. Kaffeeduft lag im Raum, ein schwerer, bitterer Geruch.
    »Leg auf«, sagte Erika. Sie ging in die Küche, Erdogan hörte sie hantieren. Dann erschien sie mit dem Frühstückstablett, schob die Diamanten auf dem Tisch zur Seite und stellte es hin. »Leg endlich auf«, sagte sie, »und komm essen.«
    Erdogan legte den Hörer auf die Gabel zurück, behutsam, als ob etwas kaputtgehen könnte. Er setzte sich, nahm die Kaffeetasse, die Erika ihm vollgeschenkt hatte, trank einen Schluck.
    »Wer war das?«, fragte sie.
    »Das war ein Mann, der weiß, dass ich die Diamanten habe. Er will sie zurückhaben. Er hat gesagt, er sei stärker als ich.«
    Sie strich sich Mettwurst aufs Brot, langsam und genau. »Siehst du«, sagte sie, »es wird nichts daraus.«
    Erdogan schaute ihr zu, wie sie aß. Wie ein Schaf, dachte er, das von nichts eine Ahnung hat, wie ein dummes, wiederkäuendes Koyun.
    »Was schaust du mich so saudumm an?«, fragte sie. »Ich habe dir von Anfang an gesagt, daraus wird nichts.«
    Erdogan schüttelte den Kopf, immer und immer wieder. »Woher weiß er es? Woher hat er meinen Namen?«
    Sie strich ein zweites Brot und schob es ihm hin. »Iss«, sagte sie, »und trink Kaffee, so wirst du wach. Dann rufst du die Polizei an.«
    »Nein«, sagte Erdogan, »das mache ich nicht.«
    »Weißt du, was du diesem Mann am Telefon soeben gesagt hast?«, fragte sie. »Weißt du das?«
    Erdogan nahm das Wurstbrot und biss hinein. Es schmeckte wie Sand.
    »Du hast ihm gesagt: ›Nein, die gehören mir.‹ Du hast ihm damit gesagt, dass du sie hast.«
    »Jetzt hör endlich auf, mich zu kritisieren, ja? Hilf mir lieber.«
    Sie schenkte Kaffee nach. »Du bist viel zu dumm für die«, sagte sie, »du hast überhaupt keine Chance. Und etwas will ich dir ganz klar sagen. Ich will dich wegen dieser Diamanten nicht verlieren. Hast du das begriffen?«
    »Das ist meine Sache«, sagte er, »Männersache. Davon verstehst du nichts.«
    Er sagte das so fest, wie er konnte. Er schaute sie aus zusammengekniffenen Augen an, und er sah, dass ihr Gesicht plötzlich weiß war, weiß wie Schnee.
    Er erhob sich, holte in der Küche einen Plastiksack, nahm aus der Kommode ein frisches Taschentuch und trat an den Tisch. Sorgfältig ließ er die Diamanten ins Taschentuch rieseln, wickelte es zu einem Bündel und legte es in den Plastiksack. Erika schaute ihm zu, wortlos, sie hatte wieder etwas mehr Farbe. Sie begann, ihm die Wurstbrote für den Mittag zu streichen.
    Als er sich angezogen hatte, nahm er die Wurstbrote und stellte sich vor sie hin. Sie saß noch immer im Morgenrock da, ungekämmt, mit fettigen Lippen, wie ihm schien. Den Blick hatte sie auf den Tisch geheftet.
    »Das ist meine Sache«, sagte er noch einmal, »Männersache.« Er ging hinaus.
    Das Treppenhaus war leer wie immer. Heruntergerieselter Gips auf den Stufen, feuchte Flecken an den Mauern, ein Geruch nach Kälte und Staub. Unten im Durchgang musste er einen Moment lang warten, da ein Gabelstapler vorbeifuhr, beladen mit Brettern.
    Es war hell geworden draußen. Die Straße schien zu leuchten vom vielen Schnee. Er lag festgetreten und festgefahren auf Trottoir und Fahrbahn, er türmte sich auf den geparkten Autos. Nur wenige Menschen waren unterwegs. Die Autos bewegten sich im Schritttempo. Zwei Häuser weiter vorn auf der Kreuzung fuhr ein Tram vorbei, mit beschlagenen Scheiben. Es war nichts Auffälliges zu sehen, nur der Schnee war neu.
    Schräg gegenüber stand der Amerikanerwagen, vom roten Faltdach war nichts mehr zu sehen. Erdogan wartete eine Weile im Schatten des Türbogens. Niemand bemerkte ihn, kein fremder Mann trat auf ihn zu mit gezücktem Messer. Er hob den Blick zum Himmel empor, der hell schimmerte.
    Er überkletterte den Schneewalm im Straßengraben und ging hinüber zum Auto. Es gelang ihm, die linke Vordertür freizubekommen und aufzureißen. Er setzte sich hinein und drehte mehrmals den Anlasser. Der Motor stotterte ein bisschen,

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