Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
reaktionär als verlogen und progressiv, dachte er, und jetzt musste er fast kotzen vor Wut über das, was er dachte. Wer war er denn? War er wirklich das allerletzte Häufchen Dreck auf Gottes Erdboden?
Er hörte das Aufheulen des Lastwagenmotors vor ihm, der Auspuff stieß eine Rußwolke aus. Dann rollte das Gefährt an, und die ganze Kolonne setzte sich in Bewegung.
Als Hunkeler bei der Garderobe der Kanalarbeiter an der Hochbergerstraße vorfuhr, war es kurz vor acht. Madörin war da und Haller, sie tranken Kaffee aus Pappbechern. Daneben standen mehrere Männer in Arbeitskleidung. Einer davon hieß Berger, war Vorarbeiter und stellte seine Kollegen vor: Luigi Violi, Sandro Berzoni, Duro Stepanovic. Zwei fehlten noch, vermutlich waren sie vom Schnee aufgehalten worden.
»Wo ist Schneeberger?«, fragte Hunkeler.
»Er sitzt, wie vorgeschrieben, in der Eingangshalle des Hotels Drei Könige«, meldete Haller, deutlich und pflichtbewusst.
»So. Und was tut er dort?«
»Vielleicht kommt Kayat ja zurück«, sagte Haller, »man weiß ja nie.«
»Vielleicht hat er etwas vergessen und kommt es holen. Meinst du das?«
Haller zog seine Pfeife aus der Tasche und kratzte sie umständlich aus. »Mach mich nicht fertig. Ich weiß, dass ich ein Arschloch bin. Es war eben eine heavy Kälte.«
»Wie bitte«, schrie Hunkeler, »eine was?«
»Es war saukalt. Weit und breit kein lebendiger Knochen. Nur Schnee. Da drehst du durch.«
»Ihr seid zwei heavy Arschlöcher.« Hunkeler drehte sich weg und spuckte in den Schnee. »Gibt es Spuren?«
»Ja. Er ist irgendwie über den Balkon gesprungen. Ich habe den Abdruck seiner Tasche im Schnee gefunden.«
»Du gehst jetzt zu Schneeberger ins Drei Könige und sagst ihm, er solle zusammen mit Lüdi die Hotels von Basel und Umgebung nach Kayat abklopfen, wahrscheinlich hat er sich einen neuen Namen zugelegt.«
Haller leerte die Tabakreste in seinen Pappbecher und warf diesen in den Mülleimer. Er ging wortlos hinaus, er war beleidigt.
Hunkeler wandte sich zu Berger. »Ist irgendetwas gestohlen worden?«
»Nein, nichts«, sagte der, »die ganze Sache ist mir unbegreiflich. Vielleicht war es ein Drögeler, der Geld für den nächsten Schuss brauchte. Die sollte man meiner Meinung nach alle an die Wand stellen.«
»Hören Sie auf, ich kann das nicht mehr hören.«
Berger schaute ihn erstaunt an. »Aber Sie sind doch von der Polizei.«
»Ja, ich bin von der Polizei«, schrie Hunkeler, »und es wird hier niemand an die Wand gestellt. Haben Sie das endlich begriffen?«
»Reg dich ab«, sagte Madörin, »er hat es ja nicht so gemeint.«
»Es sind übrigens drei Kästen aufgebrochen worden. Nur drei. Nicht alle. Das ist doch seltsam.«
Hunkeler riss eine Zigarette aus der Schachtel, zündete sie aber nicht an. Wie hatte er es denn gemeint, dieser Idiot? »Gut«, sagte er, »schauen wir dort nach.«
Berger holte ein Stemmeisen und wuchtete die Türen ohne weiteres auf. Madörin griff hinein und brachte schmutzige Wäsche zum Vorschein.
»Der da gehört Miroslav Ivanovic«, sagte Berger, »und der Erdogan Civil.«
»Ein Türke?«, fragte Hunkeler.
»Ja, ein guter Arbeiter, bescheiden und zuverlässig. Gestern hat er zum ersten Mal gefehlt.«
»Warum?«, fragte Hunkeler.
»Er hat angerufen, er habe Zahnschmerzen.«
»Nehmen wir einmal an«, sagte Hunkeler, »es wirft jemand eine Armbanduhr in die Toilette. Sie wird hinuntergespült in die Kanalisation. Besteht eine Möglichkeit, dass einer der Arbeiter diese Uhr findet?«
Berger nickte. »Was meinen Sie, was wir schon alles gefunden haben. Schlüssel, Eheringe, künstliche Zähne.«
»Und Diamanten?«, fragte Hunkeler.
»Schön wär’s. Solche Sachen bleiben gern an bestimmten Stellen liegen, dort, wo zwei Röhren nicht bündig liegen und einen Überzahn bilden.«
»Überzahn?«, fragte Hunkeler.
Berger legte die Hände gegeneinander, so dass die Fingerbeeren der rechten Hand die Nägel der linken Hand bedeckten. »So sieht das aus. Das ist wie ein kleines Stauwerk.«
»Hat jemand an einem solchen Überzahn Diamanten gefunden?«
Berger kniff die Augen zusammen. »Warum Diamanten?«
»Es könnte sein«, meldete sich Madörin zu Wort, »dass jemand zum Beispiel auf der Toilette des Badischen Bahnhofs Diamanten hinuntergespült hat.«
Berger schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid. Das wär’s, Diamanten in der Scheiße. Was meinst du, Luigi?«
Auch Luigi schüttelte den Kopf, lachte. Dann verschwand sein Lachen, er
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