Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
auf der Gabel. Und nach einer Weile war der beruhigende Summton zu hören.
Hunkeler brauchte einen Kaffee, unbedingt, etwas Warmes, Süßes, etwas mit Rasse, mit Kraft, etwas für die Lebensgeister, die schon halb am Erlöschen waren. Aber eben nur halb. Zur anderen Hälfte waren diese Lebensgeister am Aufblühen.
Er ging hinaus auf den Flur, drückte auf die drittoberste Taste des Automaten und schaute zu, wie Kaffee in den Pappbecher rann. Der Duft stieg ihm in die Nase, hoffnungsfroh. Das duftete wenigstens nach Kaffee, auch wenn es nach Spülwasser schmeckte.
Staatsanwalt Suter kam die Treppe herauf. »Was höre ich? Dieser Kayat ist verschwunden?«
»Stimmt.« Hunkeler trank einen Schluck. Es schmeckte tatsächlich nach Spülwasser.
»Ja gibt es denn das«, lamentierte Suter, »ist denn das die Möglichkeit? Bringt es die Basler Polizei nicht einmal fertig, einen Mann in einem Hotelzimmer eine Nacht lang zu beschatten?«
Hunkeler schaute ihn an, wortlos. Dann trank er den Becher aus und warf ihn in den Eimer.
»Sie sind verantwortlich, Herr Kommissär, merken Sie sich das endlich«, schrie Suter so laut, dass weiter vorn die Tür aufging und Madörin herausschaute.
Hunkeler drehte sich ab, ging in sein Büro, setzte sich vor den Zettel auf dem Tisch und schrieb:
12) Dr. Zeugin will wissen, woher wir den Tipp bekommen haben.
Guy Kayat lag angezogen auf seinem Bett im Hotel Rochat und schlief. Es war 14 Uhr 30, ein gewöhnlicher Mittwochnachmittag im Februar, der Himmel bedeckt, die Temperatur war gestiegen, und der Schnee begann langsam zu tauen.
Kayat lag ruhig, wie ein Baum. Er träumte von Zypern, von Nikosia, von der Altstadt. Er war dort heimisch, aber jetzt im Traum fand er sich plötzlich nicht mehr zurecht. Wo ein Durchgang gewesen war, war eine Mauer, und wo eine Mauer gewesen war, führte eine Treppe eine Gasse hinauf. Kayat stieg hoch, ziemlich schnell. Kein Mensch war zu sehen, es herrschte ein seltsames Dämmerlicht, und plötzlich wusste er, dass er verfolgt wurde. Er rannte, er hörte überlaut das Klopfen seiner Ledersohlen auf dem Pflaster. Er kam auf einen runden Platz, der von niederen Häusern umgeben war, ein Haus war ans andere gebaut, es gab keine Lücke. Die Häuser schienen unbewohnt zu sein. Sie schienen auf ihn zu warten, auf das Klopfen seiner Sohlen, auf seine Stimme, seinen Atem. Aber irgendwie wusste er, dass das eine Falle war. Wenn er eine Tür aufdrücken und eintreten würde, so würde sie hinter ihm ins Schloss fallen, und er war gefangen.
Kayat stand in der Mitte des Platzes, hilflos, atemlos. Er spürte die Verfolger auf der Treppe nahen, er hörte sie nicht, sie kamen lautlos über das Pflaster. Er ging auf eine Tür zu, drückte sie auf, sie gab ohne weiteres nach. Vor ihm lag ein dunkler Gang. Er hatte keine andere Wahl, er folgte diesem Gang und hörte nach wenigen Schritten die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Da wachte er auf.
Er lag auf dem Rücken, er war angezogen, er hatte am helllichten Tag geträumt. Das Fenster stand einen Spaltweit offen. Von draußen war Orgelmusik zu hören.
Kayat erhob sich und schaute hinaus. Er sah auf eine Kirchenmauer mit gotischen Fenstern und steilem Dach, von dem Schnee gerutscht und auf die Straße gefallen war. In der Kirche spielte jemand Orgel, immer denselben Lauf mit wenigen Tönen, fünf hinauf, drei hinunter, mit einem kurzen Triller in der Mitte, der dem Orgelspieler offenbar zu schaffen machte.
Er fühlte sich fiebrig, aber das war normal. Er hatte das oft erlebt auf seinen Reisen, wenn er von der Wärme in die Kälte flog oder von der Kälte in die Wärme. Dann befiel ihn jeweils diese Müdigkeit, der sich seine Glieder hingeben wollten. Zudem hatte er in den beiden Nächten zuvor kaum geschlafen.
Die Diamanten. Diese verdammten Steine. Ihretwegen hatte er ein Abführmittel schlucken, mitten in einer kalten Schneenacht an einer Hausmauer hinunterklettern und in eine Garderobe einbrechen müssen. Und jetzt hatte er noch einen neuen Namen.
Er lebte auf der Flucht. Deshalb hatte er wohl auch diesen Höhlentraum gehabt mit der zufallenden Tür. Aber fliehen durfte er erst, wenn er die Diamanten gefunden und dem Auftraggeber übergeben hatte.
Er saß ganz schön in der Tinte.
Immerhin hatte er eine Spur, diesen Türken. Ihm würde er diesen Abend einen Besuch abstatten.
Der Orgelspieler griff jetzt voll in die Tasten und holte breite, dröhnende Akkorde aus den Pfeifen.
Kayat fühlte sich eingesperrt in
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