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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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diesem kleinen Zimmer. Er schlüpfte in die Schuhe und zog sich den Kamelhaarmantel über. Er lächelte höflich, als er unten den Schlüssel abgab.
    Draußen zögerte er. Was wollte er eigentlich, was suchte er? Vor ihm, jenseits der Straße, lag ein Platz, bestanden mit Bäumen, ein lichter Wald. Krähen hockten dort oben, lautlos. Von einem Ast fiel Schnee und klatschte dumpf auf den Boden, der Ast schnellte hoch. Der Orgelspieler in der Kirche übte jetzt wieder Läufe, diesmal ohne sich zu wiederholen. Präzis hämmerte er die Töne in die Pfeifen, einen nach dem andern, wie eine Perlenkette.
    Er ging zum Denkmal hinüber, das vor der Kirche stand, eine Büste auf einem Sockel, schneebedeckt. Der Mann hieß Johann Peter Hebel, wie zu lesen war. Den kannte er nicht.
    Er ging neben der Kirche durch und kam in eine breite Gasse. Die alten Häuser standen da wie gewachsen. Schnee lappte über die Dachtraufen und drohte herunterzufallen.
    Weiter vorn bog er links ins Imbergässlein ein, das steil hinunterführte. Einen Moment lang dachte er an den Traum. Merkwürdig, dort war er hinaufgestiegen, hier stieg er hinab.
    Er nahm die Stufen langsam und vorsichtig. Sie waren mit Eis bedeckt, ein dumpfes, wässriges Eis zwar, nicht mehr durchsichtig und spröd, aber noch immer glitschig. Einige der Häuser schienen unbewohnt zu sein, die Läden waren geschlossen.
    Die Gasse war menschenleer. Er hatte plötzlich Mühe mit den Stufen. Nicht dass er keine Kraft mehr gehabt hätte, sich auf den Beinen zu halten, er brauchte keine Kraft zum Hinabsteigen. Es war etwas anderes, etwas in seinen Knien, in seinem Rücken, in seinem Kopf. Er merkte, dass sein ganzer Körper sich versteifte und ihm der Schweiß ausbrach. Er blieb stehen, stützte sich mit beiden Händen gegen die Mauer und versuchte, den Kopf zu senken und den Nacken zu entspannen.
    Er kannte das. Es war der Stress, der ihn gepackt hatte, der Trieb zur Flucht, dem er nicht nachgeben durfte, die Angst, die ihn starr machte. Er fing an zu würgen, von ganz tief unten kam dieses Gefühl und stieg unbezwingbar hoch. Es schüttelte seinen Körper durch wie Schüttelfrost. Dann fing er an zu husten, er hustete, bis Tränen aus seinen Augen drangen, bis er sich erbrach. Es war kein richtiges Erbrechen, er konstatierte das trotz seiner Qual völlig kühl. Er hatte gar nichts im Bauch, was er hätte erbrechen können, er hatte noch nichts gegessen heute, er war gleich nach den Anrufen am Morgen früh in Tiefschlaf gesunken.
    Dann hörte das Husten auf, als ob sich seine Energie erschöpft hätte. Kayat blieb noch einen Moment lang gegen die Mauer gestützt. Er bückte sich, griff sich eine Handvoll Schnee und drückte ihn auf sein Gesicht. Wasser rann ihm in den Mund, eiskalt.
    Er ließ den Schnee zu Boden fallen, wischte sich mit dem Taschentuch das Gesicht trocken, kämmte sich. Erbärmlich, wie er hier in dieser Gasse stand, geschüttelt von Angst, den Bauch voller Panik. Und lächerlich war dieser Traum gewesen von der Treppe und vom Platz ohne Ausgang.
    Er nahm eine Zigarette aus der Schachtel, zündete sie mit dem Feuerzeug an und nahm einen tiefen Zug. Er fühlte sich wieder völlig okay. Das war ein nervöser Anfall gewesen, sonst nichts, eine Hungerkrise vielleicht, er brauchte jetzt dringend etwas zu essen.
    Er stieg die restlichen Stufen hinunter in die Schneidergasse. Links war eine Wirtschaft, ein Ventilator drehte verrauchte Luft heraus. Château Lapin stand über der Tür.
    Kayat ging hinein und setzte sich an den langen Holztisch links. Das Lokal war halb voll. Ältere Frauen in dicken Strickjacken saßen in einer Ecke, wetterfeste Gesichter, offenbar Marktweiber. Vor sich hatten sie Gläser mit hellem Kaffee stehn. Mehrere Trinker waren da, alte und junge, bärtige und glatzköpfige, ein paar hockten zusammen am Tisch neben der Theke. Keiner schaute auf, niemanden schien der fremde Mann zu stören. In der Mitte des Raumes stand ein Ölofen, man hörte die Flamme leise lodern.
    Kayat fühlte sich gut hier. Als die Serviertochter, eine junge Frau mit kräftigen Oberarmen und hellen, schnellen Augen, an seinen Tisch kam, bestellte er Schwarztee mit Zitrone und etwas zu essen. Es gab Spaghetti mit Gehacktem, Rösti mit Rindsleber und Ochsenmaulsalat. Er entschied sich für Spaghetti.
    Als er eine gute Stunde später ins Hotel Rochat zurückkam, saß in der Eingangshalle eine Dame in einem kurzen Mantel aus Leopardenimitation. Sie schaute ihm mit einem entzückenden

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