Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
zu dritt, sie redeten leise, sie wollten niemanden stören. Auch sie hatten sich herausgeputzt, so gut es ging, mit sauber gebügelten Blusen und allerlei altmodischen Hüten auf den Köpfen.
Erika war froh, für sich allein zu sitzen. Sie brauchte Ruhe zum Überlegen. Denn was am Morgen in der Früh passiert war, das hatte ihr Angst gemacht.
Männersache, dachte sie, was ist Männersache? Was meint dieser Kindskopf, dieser Idiot eigentlich? Glaubt er wirklich fähig zu sein, mit dem fremden Mann am Telefon allein fertig zu werden?
Das war ein Traumtänzer, Erdogan, ihr Erdogan, in der Schweiz gehörte er ihr. Im Grunde war er wie die andern Männer auch, die sie gekannt hatte. Der Unterschied war bloß, dass sie ihn liebte, warum, wusste sie nicht genau. Sie liebte ihn einfach, basta. Aber er war wie die andern auch nichts anderes als ein großes Kind, ein Bub. Kaum witterte er ein bisschen Geld, schon erwachte die Kämpfernatur in diesem sonst so sanften Mann. Ohne einen Moment zu zögern, setzte er alles aufs Spiel, seine Liebe, seine Haut, sein Leben, obschon jedem vernünftigen Menschen sofort klar war, dass er keine Chance hatte. Wenn er wenigstens bereit gewesen wäre, das Problem zu bereden, einen Schlachtplan zu entwerfen.
Wenn er die Diamanten schon ums Verrecken behalten wollte, hätte er sie wenigstens so verstecken können, dass sie bestimmt niemand fand. Der Sand auf dem Grund des Aquariums zum Beispiel hätte sich gut dafür geeignet. Aber nein, er klemmte sich seine Beute unter den Arm und fuhr damit durch die Gegend. Und wenn sie etwas einzuwenden wagte, wurde er stur wie ein Ziegenbock, der nicht in den Stall zurückwollte.
Dort drüben saßen sie, diese sturen, heruntergekommenen, alten, blöden Böcke, jeder allein, vereinsamt, verbraucht. Schau sie dir an, mein lieber Erdogan, wie weit sie es gebracht haben mit ihrem Kämpfertum. Nichts als alte Trottel siehst du, die noch immer den eleganten, starken Mann markieren. Und sie sind doch nichts anderes als ein Häufchen Elend.
Kurz nach ein Uhr, als sich das Restaurant bereits zur Hälfte geleert hatte, kam Nelly an den Tisch.
»Ich wollte nur schauen«, sagte sie, »wie es dir geht. Bist du wieder gesund?«
Erika zögerte. »Ich bin nicht krank gewesen. Ich habe Probleme.«
»Mit Erdogan?«
»Ja. Er hat in der Kanalisation Diamanten gefunden und will sie nicht zurückgeben, der Aff.«
»Diamanten in der Kanalisation, wer macht so etwas?« Nelly führte die Kaffeetasse zum Mund, mit gespreiztem kleinem Finger, sie war eine Dame. »Wer wirft Diamanten weg?«
»Es hat sich einer am Telefon gemeldet. Er hat gesagt, sie gehören ihm. Ein Ausländer.«
Nelly trank, mit gerunzelter Stirn, der Kaffee war zu heiß. Ihre Gesichtszüge waren noch härter geworden, die Achseln noch hagerer, die Brust noch flacher. Sie ist unglücklich, dachte Erika, sie ist zu viel allein.
»Ein Ausländer?«, fragte Nelly. »Ist es vielleicht ein Gangster?«
Erika schaute hinaus auf den Schnee. Eine Amsel hockte dort, ein schwarzer Vogel auf weißer Fläche. »Ich habe keine Ahnung, was es für ein Mann ist. Aber ich bin sicher, dass er weiß, dass Erdogan die Diamanten gefunden hat. Und ich bin ebenso sicher, dass er sie zurückhaben will.«
»Was du nicht sagst.« Nellys Stimme zitterte vor Aufregung. »Das ist ja wie im Film. Ich an deiner Stelle würde aufpassen, dass er nicht abhaut damit. Dann hast du ihn gesehen.«
»Ich passe schon auf. Ich will, dass er hierbleibt und dass ihm nichts geschieht.«
»Du erlebst immer so verrückte Geschichten«, sagte Nelly, »ich erlebe nichts. Ich hocke zu Hause und versaure und bin froh, wenn du mich wieder einmal anrufst und fragst, ob ich nicht für dich einspringen kann. Ehrlich, du fehlst mir.«
Sie strich sich die Bluse zurecht, mit langen, schmalen, traurigen Fingern, die Nägel violett lackiert.
»Wenn diese Geschichte vorüber ist, fahren wir zusammen nach Griechenland«, versprach Erika, »jetzt geht’s nicht. Später. Es tut mir leid.«
Sie schauten auf die Schneefläche hinaus, auf die Häuserzeile jenseits des Hofs, auf den bedeckten Himmel darüber.
»Ich habe Zypern gebucht«, erzählte Nelly, »eine Woche Wanderferien im Trodos-Gebirge. Im Winter kann man dort Ski fahren. Aber allein ist es wohl nicht so lustig.«
Die Amsel war weg, fein gezeichnet waren die Spuren ihrer Krallen zu sehen.
»Übrigens«, fragte Erika, »kann ich einige Tage bei dir wohnen, wenn es brenzlig wird?«
Nelly
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