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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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Schnee seine eigene Tochter gewesen wäre, was hätte Hunkeler dann gemacht? Hätte er seinen üblichen Tramp vom Bett ins Büro, vom Büro an den Mittagstisch, vom Mittagstisch ins Büro und vom Büro in die Beiz zum abendlichen Bier weitergehen können, als ob nichts geschehen wäre? Hätte er im Elsass seinen Eisenofen weiterhin mit bedächtigem Wohlbehagen einfeuern und kurz vor Mitternacht zu Hedwig hineinkriechen können?
    Nein, das wäre nicht mehr möglich gewesen. Er wäre von diesem Unglücksbild bis an sein Lebensende gezeichnet gewesen.
    Hunkeler war es einen Augenblick lang ums Beten, als er über die Brücke fuhr, einen kurzen Vers hätte er sprechen wollen mit gefalteten Händen, ungefähr wie »Für Speis und Trank Gott sei Dank«, nur mit anderem Inhalt. Und er sagte, ohne dass er wollte, laut und deutlich: »Lieber Gott, hilf meiner Tochter Isabelle.«
    Ein starker Wind blies ihm entgegen, packte sein Auto, trieb es in die Straßenmitte. Das war eine Böe, eine Westböe. Der Wind hatte gedreht, er kam jetzt vom Atlantik her über die Ebenen Frankreichs und brachte Wärme und Nässe mit.
    Hunkeler parkte vor der Kunsthalle und ging hinein. Das Lokal war wie jeden Abend voll. Rechts die weißgedeckten Tische, wo à la carte gegessen wurde. Gestandene Ehepaare saßen hier mit einer Flasche Wein vor sich, leise, sparsame Worte wechselnd, die Damen dezent gekleidet, hoffend auf ein Abenteuer, das nie kam. Einige schwule Paare waren da, kurzgeschoren, ohne Augen für die Umgebung, verliebt sich anhimmelnd. Dann die weiblichen Paare, von denen Hunkeler nie wusste, ob es Lesben waren, die eine ausgiebig erzählend, die andere zuhörend. In der Mitte des Saales stand auf einem Tisch ein anderthalb Meter hoher Blumenstrauß. Hinten an der Wand hing ein Bild mit Bocciaspielern, gemalt von Paul Camenisch, einem schwulen Kommunisten, der 1970 als alter Mann gestorben war, gehasst und verfemt von ebendieser bürgerlichen Schickeria, die seine Werke jetzt schön fand.
    Unter diesem Bild waren zwei Tische aneinandergeschoben. Eine illustre Männergesellschaft saß dort. Hunkeler kannte sie alle. Zwei Direktoren aus der Chemie; ein ehemaliger Werber, der seine Agentur verkauft hatte und nicht recht wusste, was anfangen mit dem vielen Geld; ein Architekt aus altem Stadtadel, ehemals Nationalrat und immer noch aktiver Fastnächtler, ein hervorragender Tuschzeichner in der Freizeit. Dann der Polizeikommandant (Hunkelers Vorgesetzter), ein kulturell vielseitig interessierter und begabter Bürger auch er, der nicht nur für das Blech der Basler Polizeimusik etwas übrighatte, sondern auch für den zarten Strich auf der Violine.
    Es war das Komitee »Kultur für Basel«, welches die Kulturwoche »Die Welt im Gesang« sponserte und organisierte. Und es saßen auch da die Herren Suter, Staatsanwalt, und Dr. Zeugin, ehemals Treuhänder, jetzt Importeur.
    Hunkeler hatte bloß einen kurzen Blick auf jene Tischrunde geworfen, dann hatte er sich sogleich nach links verdrückt, in den andern Teil der Kunsthalle, den man allgemein Schlauch nannte. Er wollte jetzt von diesen Herren nicht gesehen werden, er hatte noch immer eine Wut. Dort saßen sie, mit bester Absicht, und redeten über Hirtenchöre im Kaukasus, über den Herdenruf der Tuareg im Hoggar und über jodelnde Pygmäen. Und währenddessen ging in den Gassen Basels die Jugend vor die Hunde, weil es ihr an Treffpunkten fehlte, an Räumlichkeiten, an Geld. Denn sie, die bestandenen alten Herren, bestimmten, was Kultur war.
    Im Schlauch saßen fast nur junge Leute. Harmloses, lebhaftes Gemüse, schön anzuschauen, dicht gedrängt, Hüfte an Hüfte. Wenigstens das, dachte Hunkeler, in diesem Lokal sitzen sie alle unter einem Dach, Mächtige und Ohnmächtige, auch wenn sie nicht miteinander reden.
    Er durchquerte den Raum und nahm Platz am Tisch hinten rechts, an dem Männer seines Alters saßen. Die beiden Werber vom Mittag waren da, der Pfarrer der nahen Kirche, ein scheuer, melancholischer Trauervogel. Weiter ein Kunstmaler von einigem Erfolg, im Mund faule Zähne, in den Augen Neugier und Witz. Schließlich der Wirt, ein eleganter Mann von lombardischer Grandezza, dessen Großvater als Muratore eingewandert war.
    An diesem Tisch fühlte sich Hunkeler meistens wohl. Es wurde getrunken, aber in Maßen, es wurden Sprüche geklopft, es wurde augenzwinkernd geredet über Probleme, die alle betrafen. Und fast immer herrschte Eintracht an diesem Tisch.
    An diesem Abend klappte es

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