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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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Straßenfeger, die Tröster seiner Jugend, »Working for the Yankee Dollar, yeah«.
    Als Edi gegen 23 Uhr mit der Grappaflasche kam, winkte Hunkeler ab. Er wollte nicht, er hatte keine Lust. Hocken wollte er, ja, und zuhören wollte er auch. Aber saufen und reden wollte er nicht.
    »Gratisabgabe von Grappa«, sagte der Antiquar Beat, als Edi einschenkte, »das ist Gratisabgabe von Rauschgift, und das erst noch in einem öffentlichen Lokal. Ist das nicht verboten?«
    Die Männer schüttelten sich vor Lachen, kippten ihr Glas und ließen sich wieder einschenken.
    »Jetzt reden die doch tatsächlich darüber, ob der Staat den Drögelern den Stoff gratis und franko abgeben soll. Habt ihr das gehört?«, fragte der Neue. Er trug eine Krawattennadel aus Silber, mit rotem Edelstein.
    »Das wäre nicht das Dümmste«, sagte Edi, »warum eigentlich nicht?«
    André knallte sein Glas auf den Tisch. »Wo leben wir denn eigentlich? In einem staatlichen Selbstbedienungsladen? Die gehören alle eingesperrt bei Wasser und Brot, bis sie nicht mehr süchtig sind oder meinetwegen verrecken. Und die Asylanten dazu. Einsperren bei Wasser und Brot, bis sie vernünftig werden. Meinst du eigentlich, ich will mit meinen Steuern denen ihr Rauschgift bezahlen, he?«
    Edi lehnte sich zurück. Er war für den Frieden, wollte keinen Streit.
    »Sind Sie Vertreter?«, fragte Hunkeler.
    »Ja«, fauchte André, »warum?«
    »Ruhe«, sagte Edi, »der Mann ist Polizist.«
    »Ach so, der Herr ist Polizist«, giftete der Mann mit der Krawattennadel, und es war deutlich zu sehen, dass er schwer geladen hatte, ein Fuder Alkohol, zwei Fuder Frust und Wut.
    »Der Herr ist sich zu gut, mit einfachen Bürgern zu reden, die arbeiten und ihre Steuern regelmäßig bezahlen. Wissen Sie, was ich tun würde, wenn ich die Macht hätte? Alle an die Wand stellen, Drögeler und Asylanten, und dann mit einem Maschinengewehr drüber, ratatatata.«
    Hunkeler erhob sich so schnell, dass sein Stuhl nach hinten kippte. Er langte über den Tisch, griff mit beiden Händen dem Mann gegenüber an die Gurgel und drückte zu, zwei Sekunden, drei Sekunden, dann ließ er von ihm ab.
    Edi war aufgesprungen und packte ihn am Arm. »Ruhe!«, schrie er. »Bist du wahnsinnig geworden?«
    Hunkeler stand immer noch am Tisch. Er ließ seine Arme hängen und schaute zu André hinüber, der mit käsigem Gesicht auf seinem Stuhl saß und ihn anstarrte.
    »Entschuldigung«, sagte er, »ich zahle morgen.«
    Draußen wehte ein warmer Wind. Es war eher ein Sturm, ein Märzensturm. Hunkeler hörte hinter sich eine Dachlawine rutschen und aufs Trottoir knallen.
    Was war los mit ihm? Warum hatte er urplötzlich einem wildfremden Mann an den Kragen gewollt?
    Er musste jetzt schlafen. Er ging in seine Wohnung, stellte den Wecker auf sieben und legte sich ins Bett.
    In dieser Nacht rauschte die angekündigte Warmluft über Basel hinweg. Sie rüttelte an den Fensterläden, riss den Rauch aus den Kaminen. Sie fuhr in den Schnee und brachte ihn zum Schmelzen, sie wehte die Dächer blank. Den schlafenden Menschen blies sie in die Träume.
    Der Atlantikwind fraß den Schnee innerhalb weniger Stunden von den Hängen und Höhen der umliegenden Berge. Da der Boden noch immer gefroren war und kein Wasser aufnehmen konnte, floss es in Sturzbächen hinunter in die Täler. Die Wiese trat bei Zell über die Ufer und versperrte die Talstraße. Beim Wiesendamm in Basel floss sie über den Autobahnzubringer. Der Birsig überschwemmte die Heuwaage und ergoss sich durch die Steinenvorstadt, über Barfüßerplatz und Marktplatz bis zur Schifflände. Dort vereinigte er sich mit dem Rhein. Selbst die Birs trat über ihre breiten Ufer, ein unbändiger Wildbach plötzlich mit mächtigen Wellen.
    Der Rhein stieg auf eine Pegelhöhe wie seit Jahrzehnten nicht mehr und überschwemmte die Auwälder unterhalb der Stadt. Dicke Bäume trieben Richtung Kembser Schleusen, herausgerissen aus den Jurahängen, sich drehend und schaukelnd.
    An diesem Donnerstagmorgen um acht Uhr erwachte der Kriminalkommissär Hunkeler aus einem tiefen Schlaf. Er schaute zum Wecker hinüber, der auf dem Nachttisch stand und auf sieben Uhr gestellt war. Offensichtlich hatte er geklingelt, der Knopf war noch oben. Aber Hunkeler hatte nichts gehört.
    Er erhob sich, setzte Teewasser auf, duschte sich, rasierte sich, putzte sich die Zähne, das übliche Morgenritual. Üblicherweise ödeten ihn diese seit Jahrzehnten eingeübten Handgriffe an, das Schrubben,

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