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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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nicht, Hunkeler war zu geladen.
    »Ich habe soeben in der Rheingasse eine junge Frau im Schnee liegen sehen«, erzählte er, »bereits mit dem Tod im Gesicht. Keiner hat den Finger gerührt. Ist das eigentlich in dieser Stadt schon normal?«
    Er nahm einen Schluck vom Bier, das ihm der Kellner hingestellt hatte. Es schmeckte ihm nicht. »Einen Augenblick lang habe ich gedacht, es sei meine Tochter.«
    »Hör auf zu jammern«, sagte der Kunstmaler, »oder geh zu den Herren dort drüben. Die sind verantwortlich.«
    »Ich habe einen Bekannten«, sagte der ältere der beiden Werber, »der hat ein Lungenemphysem. Das kommt vom Rauchen. Trotzdem raucht er weiter. Wie soll denn eine Fixerin aufhören können, wenn nicht einmal ein harmloser Raucher aufhören kann?«
    Hunkeler zündete sich eine an, hustete und sagte: »Wir sind alte Männer. Aber die sind jung. Das sind unsere Kinder, und ich ertrage es nicht, wenn ich zuschauen muss, wie sie sich zugrunde richten.«
    »Jetzt fang nicht noch mit den Walfischen und den Indianern an«, sagte der Kunstmaler.
    »Doch«, sagte Hunkeler, »mit denen fange ich an, und mit unseren Kindern höre ich auf.«
    »Lass endlich diesen Kitsch«, sagte der andere Werber, »schau lieber ein bisschen besser zu dir, dass du nicht zugrunde gehst.«
    Er winkte dem Kellner und bestellte Jasskarten, Tafel und Jassteppich. »Spielst du auch mit?«
    »Nein«, sagte Hunkeler.
    Er schaute zu, wie die Karten gebracht wurden, wie sie verteilt wurden, wie die Männer zu spielen begannen. Sie taten es mit höchster Konzentration, gebannt die Karten aufnehmend, sie prüfend und in der einen Hand ordnend. Keinem war anzusehen, was er dachte.
    Er jasste normalerweise mit, wenn er gefragt wurde, er zählte das Jassen zu den schönen alten Traditionen. Aber an diesem Abend wollte er nicht.
    »Ihr seid nichts anderes als bequeme, vertrottelte, völlig angepasste alte Arschlöcher«, sagte er. Er erhob sich, er sah, wie sie ihn verständnislos anschauten, wie einen Kranken.
    »Du spinnst«, sagte der Wirt, »aber es macht nichts.«
    Hunkeler ging hinaus, setzte sich in sein Auto, an dessen Frontscheibe ein Bußenzettel klebte, und fuhr los. Er hasste diese Stadt, deren Polizist er war. Er hasste diese Männer, die seine Freunde waren, er hasste sich selbst.
    Dieser Dr. Zeugin, der Import und Export betrieb auf allerlei hellen und dunklen Kanälen, dieser Ehrenmann, der unbedingt wissen wollte, woher das Kriminalkommissariat Basel den Tipp über die schmutzigen Diamanten erhalten hatte, dieser bedeutende, wertvolle Bürger saß am ehrenwerten Stammtisch mit den anderen Potentaten dieser Stadt und bestimmte, was Kultur war. Und warum saß er dort? Weil er Geld hatte.
    In Hunkeler erwachte der alte Revoluzzer. Nicht die Jugend, die eine Zukunft vor sich liegen sieht, das unbekannte, unformulierte süße Leben, gebietet über das Geld, sondern die alten, abgestandenen Knacker mit ihren Schmerbäuchen, die das Leben hinter sich und nur noch den Tod vor sich haben. Die lendenlahmen Zittergesellen, die keine einzige Erektion mehr zustande bringen, nicht an ihrem vierzigsten Hochzeitstag, nicht am ersten Mai und nicht an Silvester nach einem Dutzend Austern und einer Flasche Schampus, den sie aus goldgefassten Kristallgläsern schlürfen. Und genau deshalb erklären sie den Geldbesitz als unantastbar und heilig, genau deshalb hocken sie auf ihren Kohlen, weil sie damit die Macht, die sie naturgemäß längst abgeben müssten, behalten und mit Zins und Zinseszins mehren können bis ins Grab. Sie ficken mit Geld, und sie ficken die Jugend.
    Hunkeler stöhnte. Aus Ärger, aus Wut, aus Frust über seinen miesen Job, er wusste es nicht. Die Phantasie an die Macht, ha! Er grinste bitter. Die Geldsäcke an die Macht, die Anpasser, die Saubermänner mit den verschissenen Unterhosen! So war die Wirklichkeit.
    Vor einem Rotlicht hätte er beinahe einen vor ihm wartenden Wagen gerammt, so sehr war er in Fahrt. Der Schnee war jetzt schwer und nass, ein richtiger Pflotsch lag auf der Straße.
    Er parkte vor seiner Wohnung und ging die wenigen Schritte zum Sommereck. Edi saß da, Beat und ein Neuer, der wie ein Lebensversicherungsvertreter aussah und André hieß.
    Hunkeler bestellte eine Käseschnitte mit Ei und einen Milchkaffee. Er sagte nichts, er hörte zu, er aß. Zwischendurch achtete er auf die Musik, die aus der Musikbox kam: »Buona sera, Signorina, buona sera«, »See you later alligator«, die alten Evergreens und

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