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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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Sie wollten, dass wir ausstiegen, uns von ihnen einladen ließen, mindestens für eine Nacht. Ich saß am Steuer, und ich habe sofort gewendet. Ich bin aus diesem Dorf hinaus geflüchtet. Das war eine Flucht vor der Schönheit. Verstehen Sie mich jetzt?«
    Der kleine Mann hatte zugehört. Er aß immer noch nicht weiter, er schien nachzudenken, aber er sagte nichts.
    »Diese ganze heilige Welt«, fuhr Hunkeler weiter, »der Sumpf mit den Flamingos, der See mit den Störchen, das Dorf mit den Männern, die einen Fremdling wie einen König aufnehmen und bewirten wollen, das alles geht kaputt in wenigen Jahren. Verstehen Sie?«
    »Ja«, sagte der kleine Mann, »ich verstehe Sie. Aber Menschen sind wichtiger als Schildkröten und Flamingos. Hotels bringen Arbeit. Ein Straßendamm mitten durch den Sumpf wird von Männern gebaut, die damit Geld verdienen. Oder sollen sie und ihre Familien verhungern, nur weil Sie hin und wieder gern einen Storch am Himmel sehen?«
    »Nein, das sollen sie nicht«, sagte Hunkeler.
    Er schaute zu, wie Civil eines der Brote nahm, hineinbiss und kaute.
    »Diamanten sind eine wunderbare Sache«, sagte er, »und ich verstehe gut, dass jemand, der eine Handvoll davon findet, sie nicht mehr hergeben will.«
    »Jetzt hören Sie endlich mit diesen Diamanten auf. Ich habe keine.«
    »Entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte Hunkeler, »ich wünsche noch einen schönen Abend. Und viel Glück.«
    Er ging hinaus.
    Peter Hunkeler saß im Auto und startete den Motor. Er war nervös, er gefiel sich gar nicht. Warum hatte er diese lange Rede gehalten über Störche und Frösche, über Schönheit und heilige Welt, was hatte er damit sagen wollen? Und dann dieser Blödsinn über Umweltzerstörung in der Türkei, was ging ihn das an? Diese verlogene Moral, die andern Leuten verbieten wollte, das zu tun, was hierzulande schon längst geschehen war. Klebte nicht auf jedem schweizerischen Kirchendach ein leeres Storchennest, in dem noch vor wenigen Jahrzehnten gebrütet worden war? Und was war mit dem Altachenbach, an dem er aufgewachsen war? Wo waren die Wasserlilien hingekommen, die Egel und Forellen? Die waren weg, verschwunden.
    Es war die übliche helvetische Schulmeisterei gewesen, die arrogante Besserwisserei, die ihn zu dieser Rede getrieben hatte. Er hatte dem Mann aus der Türkei seine Sympathien kundtun wollen, ihm erklären, dass er ihn liebenswert fand, dass er seine Heimat ein bisschen kannte, die Schönheit dieses Landes, die unglaubliche Gastfreundschaft. Er hatte mit dieser Sympathieerklärung um Vertrauen werben wollen, und natürlich war er abgeblitzt.
    Der Mann aus Selçuk war ja nicht zu seinem Vergnügen hier, weil er Basel zum Beispiel eine schöne Humanistenstadt fand. Er kroch nicht acht Stunden pro Tag in der Kanalisation herum, weil er den Abwassergeruch besonders mochte. Er tat es, weil er Geld verdienen wollte. Ein entschlossener Mann, dieser Civil. Er hatte klare Ansichten, er wusste, was er wollte. Wenn er die Diamanten tatsächlich gefunden hatte, so würde er sie bis zum Letzten verteidigen.
    Und Frau Waldis, warum hatte die nicht geredet? Sie hatte nicht geredet, weil sie Angst hatte. Sie hatte nicht nur Angst vor fremden Besuchern, die in ihre Wohnung eindrangen, sie fürchtete vor allem, ihren Erdogan zu verlieren. Hunkeler hatte genau gesehen, wie neugierig sie seiner Schilderung von Selçuk gelauscht und wie müde sie plötzlich ausgesehen hatte, als er sie gefragt hatte, ob sie auch schon hingefahren sei.
    Sie wollte nicht, dass Erdogan in die Türkei verschwinden und nicht mehr wiederkommen würde.
    Aber waren die Diamanten nicht ein guter Grund für Civil, als reicher Mann endgültig in die Türkei zurückzukehren? Und wenn sie das verhindern wollte, hätte sie dann nicht reden müssen? Sie hatte nicht geredet, weil das Verrat gewesen wäre. Und verraten wollte und konnte sie ihre Liebe nicht.
    Oder war das alles falsch? Wusste Civil tatsächlich nichts von Diamanten? Die Geschichte mit dem Zahnweh jedenfalls schien wahr zu sein.
    Wo steckte überhaupt Haller? Der hatte doch die Aufgabe, den Türken zu überwachen. Machte er vielleicht wieder einmal Pause?
    Hunkeler stellte den Motor ab und tippte Hallers Nummer ins Telefon. Schon nach dem ersten Piepston kam Antwort.
    »Wo steckst du denn?«, fragte Hunkeler.
    »Er hat mich gesehen«, meldete Haller, »und ich bin unauffällig verduftet. Jetzt stehe ich hundert Meter Richtung Rhein. Siehst du die

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