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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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Brillen herausgefischt hatte, manchmal sogar völlig intakte. Aber das, was da am Boden glänzte, sah nicht aus wie eine Brillenscherbe. Das sah eher wie ein Glaskiesel aus. Als er genauer hinleuchtete, sah er noch mehr solche Kiesel herumliegen.
    Er beugte sich nieder und nahm einen auf. Der Kiesel war ungefähr so groß wie ein Wassertropfen. Er hatte Kanten und klare Flächen, und als er ihn mit dem Taschentuch saubergerieben hatte und genau vor den Strahl der Lampe hielt, sah er, dass darin ein bläuliches Feuer aufblitzte.
    Erdogan erschrak. Er wickelte den Kiesel ins Taschentuch und steckte dieses in die Seitentasche seines wasserfesten Overalls. Dann schaute er um sich. Nichts war zu hören als das Tropfen und Rieseln des Wassers, und von oben drang das ferne Rauschen des Verkehrs herab. Er leuchtete mit der Laterne links und rechts die Röhre aus. Niemand war da außer der Ratte, die sich noch immer putzte.
    Erdogan spürte sein Herz pochen, es schlug bis in den Hals hinauf. Das war ein Diamant, das war ihm sofort klar. Und hier vor ihm in diesem nassen Unrat lagen noch weitere Diamanten. Aber wo waren die Leute, die sie verloren hatten?
    Er bückte sich und stocherte im Haufen herum. Er kniete sich hin und fing an, was da glänzte, einzusammeln. Er arbeitete schnell, aber ohne Hektik. Er durchsuchte alles, drehte jedes Papier um und jede Zigarettenkippe, durchwühlte systematisch die Fetzen des grünen Kleides und schritt einige Dutzend Meter der Röhre in Richtung des abfließenden Wassers ab. Er leuchtete in den Zubringer des Badischen Bahnhofs hinein, schabte heraus, was dort noch lag, und fand zwei weitere Steine. Als er sicher war, dass ihm keiner entgangen war, reihte er alle in gerader Linie auf dem trockenen Röhrenrand auf und zählte sie.
    Es waren zweiundvierzig große, bläulich schimmernde Brillanten. Er hatte sie gefunden, und niemand hatte ihn gesehen. Er wickelte sie ins Taschentuch, steckte dieses ein, nahm sein Werkzeug von der Wand, wo er es angelehnt hatte, und machte sich auf den Rückweg.
    Erika Waldis, zweiundfünfzigjährige Innerschweizerin aus Weggis an der Rigi, ledig, ziemlich dick, saß an der Kasse des Einkaufszentrums Burgfelderstraße und tippte die Preise der Waren ein, die das schwarze Fließband in Griffnähe schob. Obschon Hochbetrieb war, tat sie das mit langsamen, sicheren Bewegungen. Die meisten Preise kannte sie längst auswendig. Nur das Gemüse und Obst, die Käse- und Fleischprodukte hielt sie sich kurz vor die Augen, las ab, was sie kosteten, und legte sie dann in den bereitstehenden Einkaufswagen. Wenn die Maschine alles zusammengerechnet hatte, nannte sie den Betrag, wartete, bis die Kundin oder der Kunde einen Geldschein hervorgesucht hatte, und gab das Restgeld heraus. Das waren die kurzen Momente, in denen sie den Rücken durchstrecken, den Blick heben und die Kundschaft anlächeln konnte. Sie kannte einen großen Teil der Leute vom Sehen, sie war sehr beliebt. Denn sie ließ sich nie aus der Ruhe bringen und gab sich Mühe, auch die andern nicht aus der Ruhe zu bringen. Zeit hatte sie genug, nämlich achteinhalb Stunden pro Tag, so lange arbeitete sie. Es hatte überhaupt keinen Sinn zu hetzen. Schließlich ging es hier in erster Linie um Lebensmittel, um das Kochen und um das Essen, und damit, so dachte Erika, muss man sich Zeit lassen.
    Am liebsten tat sie ihren Dienst in den flauen Stunden morgens um neun und nachmittags um drei, wenn das riesige Areal des Einkaufsparadieses fast menschenleer war. Dann lag ein eigentümlicher Charme über den Regalen, ein Duft nach schöner, heiler Welt, in der im Grunde nichts Schlimmes geschehen konnte, da ja genügend zu essen da war, und alles gesunde, vollwertige Nahrung. Es gab zum Beispiel mehr als zwölf Sorten Brot im Sortiment, solches mit Sojamehl drin, mit Weizenkleie und Dinkel. Es gab verschiedene Joghurtsorten, mit und ohne Früchte, aus Vollmilch hergestellt oder teilweise entrahmt. Es gab sogar seit kurzem Kartoffeln aus biologischem Anbau, ein bisschen teurer als normale, aber immer noch billig. Hungern musste hier niemand.
    Die alten Frauen und Männer, die zu diesen flauen Stunden einkauften, bediente Erika aufs höflichste. Sie konnte am Inhalt der Einkaufswagen abschätzen, wer nur von der AHV leben musste und wer noch eine Zusatzrente hatte. Sie wartete mit freundlichem Blick, bis die alten Leute ihr Portemonnaie hervorgesucht hatten. Sie schaute geduldig zu, wie sie den geforderten Betrag möglichst

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