Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
Leonhardskirche stand feierlich da, spätgotisches Filigran hinter den kahlen Linden. Ostwärts lagen die Giebel der alten Stadt.
Peter Hunkeler wusste, was jetzt kam. Sie würden hineingehen ins Büro, sie würden Fragen stellen, immer wieder die gleichen, sie würden sich gegenseitig anöden, und selbstverständlich würde keiner der beiden etwas von Diamanten wissen. Wenn Kayat sie tatsächlich bei sich gehabt hatte, lagen sie in der Kanalisation. Dort mochte sie suchen, wer wollte. Hunkeler wollte nicht.
»Bitte sehr, meine Herren«, sagte er, »darf ich Sie bitten?« Er ging voraus durch das spitzgieblige Tor, das wie ein Klostereingang aussah, das ihn aber an Angstschweiß, Geschrei und Schläge erinnerte, an Nervenzusammenbrüche und an Menschen, die sich an den Gitterstäben der kleinen Fenster erhängt hatten. Er winkte im Vorbeigehen dem alten Pförtner zu, der hinter dem Fenster über einem Kreuzworträtsel hockte. Vermutlich schlief er, das war nicht genau auszumachen, er hatte den Kopf in die aufgestützten Hände gelegt und die Augen geschlossen. Vielleicht dachte er auch nur über ein Wort mit fünf Buchstaben nach, das mit einem K anfing und als dritten Buchstaben ein A hatte.
Sie kamen in den Innenhof des Untersuchungsgefängnisses. Der Bau mit den zwei grauen Flügeln war über hundert Jahre alt, er war dauernd überbelegt von Kleindealern und Beschaffungsdelinquenten, die alten Frauen die Handtasche entrissen hatten. Hinter einigen der vergitterten Fenster brannte Licht.
Sie stiegen eine Treppe hoch und betraten Hunkelers Büro. Lüdi nahm den beiden die Handschellen ab und bat sie, sich zu setzen. Der Glatzkopf verlangte einen Anwalt, was Lüdi mit einem üblen Grinsen quittierte. »Alles mit der Ruhe«, sagte er, »Sie bekommen Ihren Anwalt noch früh genug.«
Hunkeler trat auf den Flur hinaus und holte am Automaten einen Becher Kaffee. Er schlürfte ihn im Stehen und überlegte, ob er sich wieder eine anzünden sollte. Er war müde, und was sich hier abspielte, ödete ihn so sehr an, dass er sich einen Moment lang gegen die Wand lehnen musste. Er hatte das Gefühl zu fallen, sich gleich flach hinlegen zu müssen, er wollte das alles nicht mehr sehen.
Da trat aus einem der Räume weiter hinten Staatsanwalt Suter auf den Flur hinaus und kam auf ihn zu. »Und«, fragte er, »was ist mit den Diamanten?«
Hunkeler zuckte mit den Achseln.
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Suter, als ob er keine Ahnung gehabt hätte, was dieses Achselzucken bedeuten könnte.
»Wir haben sie nicht«, sagte Hunkeler, »es ist nicht meine Schuld.«
»Wir setzen fünf Mann ein«, sagte Suter und machte ein empörtes Gesicht, obschon ihn diese Diamantengeschichte überhaupt noch nichts anging, »und sie finden nichts? Die deutsche Kripo meldet uns zuverlässig, dass ein Kurier der Beirut Connection mit Drogenerlös in Form von Brillanten mit dem Intercity von Frankfurt nach Basel Badischer Bahnhof fährt, Sie stehen dort und finden nichts?«
Hunkeler nahm einen Schluck vom immer noch zu heißen Kaffee. Er wusste, dass er dieses Gerede über sich ergehen lassen musste, und er versuchte, einigermaßen schuldbewusst dreinzuschauen.
»Und der Kurier?«, fragte Suter und setzte zum entscheidenden Schlag an. »Was ist mit dem? Wie heißt er schon wieder?«
»Kayat«, sagte Hunkeler, »er ist da drin, zusammen mit einem Schweizer, dessen Identität noch nicht feststeht.«
»Na also«, sagte Suter und plusterte sich jetzt richtig auf, »befragen Sie die beiden endlich, pressen Sie sie aus. Wir brauchen Resultate.«
Er wandte sich ab und rauschte davon, die Treppe hinunter.
Hunkeler warf den noch halbvollen Kaffeebecher in den Plastikeimer und ging zurück ins Büro. Lüdi war verschwunden, aber Schneeberger war da und untersuchte den Libanesen, der sich bis auf die Unterhosen ausgezogen hatte. Madörin hatte die schwarze Reisetasche auf den Tisch gestellt und holte Wäschestück nach Wäschestück hervor. Er schüttelte jedes einzeln aus, strich es auf dem Tisch glatt, um zu prüfen, ob irgendetwas Hartes darin eingenäht war. Er legte eines auf das andere wie eine vorbildliche Büglerin. Dazu grinste er, als ob ihm das Spaß machen würde.
Er zog die aufgerissene Präservativpackung hervor, grinste wieder und riss jeden einzelnen Pariser heraus. Er zählte sie. »Neun Stück«, sagte er, »und wo ist der zehnte?«
»Ich brauche hin und wieder einen Pariser«, sagte Kayat entschuldigend, »ich bin ein
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