Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
genau in Scheinen und Kleingeld abzählten, sie streckten niemals große Scheine hin, sie trennten sich ungern von ihnen.
Auch die Asylanten bediente sie gern, die Tamilen, die alle im Block nebenan lebten. Das waren moderne, teure Wohnungen, aber die Wohnungsnot war so groß, dass die Stadt den halben Block für Asylanten gemietet hatte. Erika wusste, dass die zierlichen braunen Männer mit dem pechschwarzen Haar zu dritt und zu viert in jenen Zimmern wohnten, zwölf Männer in einer Dreizimmerwohnung. Sie verstanden meist kein Wort Deutsch, und Erika, die neben Deutsch bloß noch Französisch konnte, da sie ein Jahr lang Kinder im Welschland gehütet hatte, hatte alle Mühe, sich mit ihnen zu verständigen.
Es kam auch vor, dass eine eben erst aus dem Balkan oder aus Anatolien eingereiste Ausländerin den bis über den Rand gefüllten Einkaufswagen heranschob und alles mit zwanzig Franken bezahlen wollte, in der Meinung, zwanzig Franken seien ja, umgerechnet in ihre Heimatwährung, sehr viel Geld. Dann musste Erika erklären, dass zwanzig Franken in der Schweiz nicht viel, sondern wenig Geld waren und dass dafür nur ein Bruchteil der eingesammelten Waren zu kaufen war. Auch das machte sie behutsam und so, dass sich niemand bloßgestellt fühlte.
An diesem Abend herrschte an der Kasse die übliche Wortlosigkeit. Die Kundschaft wartete in mehreren meterlangen Schlangen, Frauen und Männer, die vor Ladenschluss noch schnell etwas einkaufen wollten. Keine unfreundlichen Leute, aber müde Leute, Leute ohne viel Zeit.
Da es auf das Monatsende zuging und die Löhne noch nicht ausbezahlt waren, lagen in den Wagen vor allem Konserven, Teigwaren und Würste und wenig Frischfleisch. Dies war keine reiche Gegend hier, an der Burgfelderstraße wohnten Leute, die zu sparen und zu sorgen hatten, Leute wie Erika selber. Ihr gefiel das, sie fühlte sich heimisch.
Als zwei fremdländisch aussehende junge Männer vor der Kasse standen, die sie auf den ersten Blick als Türken erkannte, sagte sie: »Güle güle.« Sie lächelte fast vertraulich, als die beiden ihren Gruß erwiderten, und sie ließ sich überhaupt nicht stören, als sie die erstaunten Blicke der anderen spürte.
Das Polizeiauto fuhr auf den Parkplatz des Lohnhofs. Am Steuer saß Wachtmeister Madörin, daneben Kommissär Hunkeler. Auf dem Rücksitz hatten sich Korporal Lüdi, Kayat und der glatzköpfige Schweizer zusammengedrängt, die beiden Letzteren trugen Handschellen. Zudem waren die hinteren Türen gesichert. An ein Entkommen war also nicht zu denken, auch wenn einer versucht hätte, aus dem fahrenden Auto zu springen.
Das Blaulicht war nicht eingeschaltet, das hätte beim abendlichen Stoßverkehr nicht viel genützt. Zudem war von ganz oben die Devise ausgegeben worden, möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Die Polizei stand in dieser Stadt seit den Jugendunruhen nicht mehr hoch im Kurs, und je unauffälliger ein Auftrag durchgeführt werden konnte, desto besser.
Auf der Fahrt war nur wenig gesprochen worden. Kayat hatte geschwiegen, als ob ihn das Ganze überhaupt nichts anginge. Nur der Glatzkopf hatte anfangs lauthals protestiert und etwas von Schweinerei, Skandal und Polizeistaat gefaselt. Da er neben der Tür saß, hatte er einmal mit aller Kraft am Griff herumgeriegelt, um sie aufzustoßen. Als aber keiner im Wagen, auch Kayat nicht, den Kopf nach ihm umwandte, ließ er es bleiben und fügte sich.
Hunkeler hasste diese wortlosen Dienstfahrten. Er hatte hintereinander zwei Zigaretten geraucht, was ihn schon beim Anzünden geärgert hatte. Denn er wusste, dass er diese blödsinnige Raucherei überhaupt nicht mehr vertrug, er war zu alt geworden dafür. Er hatte schon mehrmals vergeblich versucht, damit aufzuhören, und jetzt schien es ihm, er sei zu alt geworden fürs Aufhören.
Bei der Fahrt über die Wettsteinbrücke ins Großbasel blickte er zum nahen Münsterchor hinüber, der hoch über dem Rhein stand. Das Dach war jetzt weiß verschneit, es schimmerte unwirklich hell durch die Dunkelheit.
Als das Auto vor dem Lohnhof anhielt, entriegelte er die hinteren Türen und stieg aus. Er schaute zu, wie Kayat und der Glatzkopf herauskrochen. Kayat hielt sich gut, wie ein Gentleman. Der andere war fahl im Gesicht. Offenbar hatte er Angst. Madörin stand daneben, lauernd wie ein Hund. Dass er nicht bellte, war eigentlich verwunderlich.
Auf dem Vorplatz war es ruhig. Durch den Laternenschein glitten die Flocken, die größer geworden waren. Die
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