Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
noch schwach erkennbar im rieselnden Schnee.
Hunkeler schaute zu, wie die beiden Wischer Dreiecke auf die Frontscheibe drehten. Er versuchte, seiner Unruhe Herr zu werden. Er stellte den Motor ab, legte die Hände auf die Knie, schloss die Augen und atmete ruhig. Er sagte sich die Sätze vor, die er in einem Gratiskurs des Basler Polizeikorps für autogenes Training gelernt hatte. Ich bin ganz ruhig und entspannt, sagte er in gedämpftem Tonfall vor sich hin, und auch mein rechter Arm ist ganz schwer und warm. Er merkte, wie diese idiotischen Sätze zu wirken begannen, wie er aus der Außenwelt immer tiefer in seinen Körper hineinrutschte. So empfand er das. Als er ganz wegzutauchen drohte in ein angenehmes Schweben, riss er die Augen wieder auf.
Es hatte sich nichts verändert um ihn herum inzwischen, nur dass ein feiner Rieselschnee auf der Frontscheibe lag.
Im Grunde gefiel ihm dieses Festsitzen im Stau, dieses Eingeklemmtsein zwischen Vorder- und Hinterwagen, dieses allgemeine sinnlose Warten auf etwas, was demnächst geschehen sollte, was aber nie geschah. Es war ein beruhigendes Aus-dem-Verkehr-gezogen-Sein, ein Aufgehoben-Sein in der allgemeinen Versteinerung.
Als der Wagen hinter ihm hupte, schrak Peter auf. Er war doch noch eingenickt, er hatte an seine Tochter Isabelle gedacht, er hatte von der guten Zeit mit ihr geträumt, von der schönen, gescheiten, fröhlichen Isabelle, die er seit über einem Jahr nicht mehr gesehen hatte.
Er schaute in den Rückspiegel. Dahinten hockte ein Mann am Steuer, der wütend seine Arme verwarf und sich mit eindeutiger Gestik an die Stirn tippte. Peter hob entschuldigend die Achseln, was den Hintermann nur noch in heißere Weißglut trieb und zu mehrmaligem Hupen veranlasste. Dann startete er den Motor und fuhr an.
Jenseits der Brücke standen zwei ineinandergekrachte Wagen. Ein Blaulicht drehte, ein Polizist winkte Hunkeler durch.
Er kam auf die Minute genau beim Badischen Bahnhof an, parkte, stieg aus und rannte in die große Halle. Sein Kollege, Detektiv-Wachtmeister Michael Madörin, stand beim Kiosk hinter einem Gestell mit Zeitungen und gab ihm unauffällig ein Zeichen. Der große Zeiger der Uhr im Kuppelbogen oben – eine Abdankungshallen-Architektur, dachte Hunkeler – rutschte soeben auf 16 Uhr 30.
Er sah seine Männer sogleich. Haller stand bei der Fahrkartenausgabe der Deutschen Bundesbahn und rauchte seine geschwungene Luzerner Pfeife. Schneeberger las auf der Bank in der Mitte der Halle ein Buch, Korporal Lüdi studierte den beim Ausgang an die Wand geklebten Fahrplan. Keiner schaute herüber zu Hunkeler, der zum Kiosk schlenderte, um sich Zigaretten zu kaufen.
Aus dem Gang, der zu den Bahnsteigen führte, kamen die ersten Reisenden. Der Zöllner ließ sie anstandslos passieren. Ein junges Paar, das sich mit Küssen begrüßt hatte und jetzt umschlungen und offensichtlich voll der besten Hoffnung dem Ausgang zustrebte, einige Geschäftsleute mit Aktenköfferchen, die nicht links und nicht rechts schauten, eine ältere Frau, die offenbar erwartet hatte, abgeholt zu werden, und die ratlos in der Halle stehen blieb.
Dann kam Guy Kayat. Hunkeler erkannte ihn sofort, er hatte sich das Foto genau angeschaut. Es war ein junger, kräftiger Araber in hellem Kamelhaarmantel, mit einer schwarzen Ledertasche und mit seltsam steifem Gang. Er blieb stehen, schaute sich kurz um und wandte sich dann dem Ausgang zu. Ein Mann trat vom Bankschalter weg, wo er offenbar Geld gewechselt hatte, ein ziemlich dicker Mittfünfziger mit Glatze, dem man die schweizerische Biederkeit schon von weitem ansah. Er drehte sich zu Kayat hin, versuchte, ihm unauffällig zu winken, und rannte dann, als das nichts nützte, auf ihn zu.
»Das ist er«, zischte Madörin und wollte schon lospreschen. Hunkeler hielt ihn zurück. Der Glatzkopf erreichte Kayat, packte ihn am Arm und riss ihn herum. Der befreite sich, stieß den Glatzkopf weg, rief ihm etwas zu, was nicht zu verstehen war. Der Glatzkopf war verblüfft, schaute sich in der Halle um, da rannte bereits Korporal Lüdi heran. Kayat ließ seine Tasche fallen, packte den Glatzkopf und warf ihn mit erstaunlicher Kraft dem heranstürmenden Lüdi entgegen. Dann rannte er los, am Kiosk vorbei in den Gang, der zu den Toiletten führte. Hunkeler und Madörin hätten ihn wohl ohne weiteres erwischt, wenn nicht ein Ehepaar mit einem Kind und hoch beladenem Gepäckwagen um die Ecke gekommen wäre. So rannten sie bloß das Kind über den Haufen
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