Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
zunehmenden Körpergeruch. Er stank tatsächlich wie ein alter Bock, und das war ihm scheißegal.
Gegen 21 Uhr rief ein Polizist aus St-Louis an. Er entschuldigte sich ausführlich für die späte Stunde, er habe zu viele Probleme mit Ausländern, mit Algeriern und Marokkanern vor allem, die seien wie die Fliegen, mal da, mal dort, kaum zu fassen. Zudem sei die Polizei in den umliegenden Dörfern schwer unterdotiert, sie sei kaum präsent, und die Dorfbewohner seien es gewohnt, selber zum Rechten zu schauen. »Sie melden nichts«, klagte er, »sie halten zusammen wie Pech und Schwefel und betrachten die Polizei als ihren Feind. Und wenn wir einmal eine Geschwindigkeitskontrolle machen, weil die Leute auf der Route nationale weit über hundert fahren, warnen sie sich gegenseitig mit dem Appel de phare. Wie soll man da jemanden erwischen?«
»Schwierig, schwierig«, sagte Hunkeler. »Aber was wollen Sie mir eigentlich sagen?«
»Also.« Der Polizist aus St-Louis räusperte sich, er holte aus zu einer gewichtigen Rede. »In der vergangenen Nacht ist vor der Auberge in Neuwiller ein alter Amerikanerwagen, weiß mit rotem Verdeck, vollständig demoliert worden. Die Wirtin tippt auf Fremdenhass als Motiv. Es könnte aber auch etwas anderes sein, und deshalb rufe ich an. Der Wagen hatte eine Basler Nummer.«
»Können Sie mir die Nummer bitte durchgeben?«
»Leider nicht. Die Nummernschilder wurden abgeschraubt und mitgenommen von den Besitzern des Wagens. Das ist eine Frau Erika Waldis, sie hat sich unter diesem Namen an der Réception eingetragen. Und ihr Begleiter war ein Mann aus dem Balkan oder der Türkei.«
»Vielen Dank«, sagte Hunkeler, »wir melden uns auch wieder einmal, wenn wir etwas wissen, was für Sie interessant sein könnte.«
Er legte auf. Endlich, dachte er.
Neuwiller, Elsass, warum verreist Civil nach Frankreich? Und wer hat ihm das Auto demoliert? Will er von Bâle-Mulhouse abfliegen? Weiß das Kayat, verfolgt er ihn?
Er bestellte eine Kanne Kaffee und rief dann das Swissair-Bureau auf dem Flughafen Bâle-Mulhouse an. Nein, ihnen war nichts bekannt. Es startete morgen keine Maschine mit türkischer Destination und übermorgen auch nicht. Aber Moment mal, von Zürich-Kloten aus, da startete morgen ein Charterflugzeug nach Izmir, und zwar um 11 Uhr 30.
»Können Sie die Liste der Passagiere abrufen?«, fragte Hunkeler, und seine linke Hand trommelte Wirbel aufs Buchenholz.
»Nein, tut mir leid. Aber in Zürich-Kloten können sie das vielleicht.«
Es klopfte an die Tür, die Frau brachte den Kaffee. Hunkeler bedankte sich, lächelte freundlich und fragte sich, ob er ihr sagen solle, sie sei ein Engel.
Er ließ es bleiben, griff wieder zum Hörer und rief Zürich-Kloten an.
Das sei schwierig, meldete eine freundliche Frauenstimme, bei einem Charterflug zu dieser späten Stunde an die Passagierliste heranzukommen. Aber unmöglich sei es nicht. Er solle mit der Zürcher Polizei oder mit der Flughafenpolizei reden.
Hunkeler rief die Flughafenpolizei an. Er meldete, am morgigen Samstag um 11 Uhr 30 wolle aller Wahrscheinlichkeit nach ein türkischer Staatsangehöriger namens Erdogan Civil mit einer Chartermaschine nach Izmir fliegen. Dieser Mann sei beim Einchecken zu überwachen und kurz vor dem Abflug festzunehmen. Und noch etwas: Es sei sehr dringend zu wissen, wo dieser Herr Civil sein Flugticket gekauft habe.
Dann kippte Hunkeler den Stuhl nach hinten, die Füße an der Tischkante, rauchte, trank Kaffee und wartete.
Um 22 Uhr 30 rief Schneeberger an, freudig und aufgestellt.
»Ich habe sie gesehen«, meldete er, »es gibt gar keinen Zweifel, sie war es.«
»Wer?«, fragte Hunkeler blöd.
»Die Dame mit dem Leopardenmantel«, sagte Schneeberger, »wer denn sonst? Es gibt nur eine solche Dame in ganz Basel.«
»Und wo ist sie jetzt?«
»Weggefahren mit dem Fahrrad. Ich sage dir…«
»Bist du wahnsinnig, du Idiot«, schrie Hunkeler, »du bist und bleibst das Arschloch vom Dienst.«
Jetzt tat Schneeberger beleidigt. »Du hast doch gesagt, diskret, nicht eingreifen, es ist ein großes Tier.«
»Dr. Zeugin ist ein großes Tier, aber doch nicht diese Frau.«
Er schmetterte den Hörer auf die Gabel, er hätte ihn fressen können vor Wut.
Er setzte sich aufrecht hin, die Hände flach auf den Knien. Ich bin ganz ruhig und entspannt, murmelte er, und mein Kopf ist schwer und warm, und mein Magen, und mein Sack.
Es half nichts. Er warf den Stuhl um, hieb mit der flachen Hand auf den
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