Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
gut. Ich mache offenbar alles falsch.«
»Wie gewohnt«, sagte Schneeberger, »nimm’s nicht zu schwer. Wir alle wissen, dass du ein ziemlich heavy Typ, ich meine, ein ziemlich zäher Bursche bist.«
»Danke«, sagte Hunkeler.
Erika Waldis verbrachte den Rest dieses Tages im Café Ankara. Sie saß auf der Bank in der Ecke vor einem Glas mit kräftigem Tee, der ihr sehr gut schmeckte. Sie schaute zu, wie Erdogan an der Theke mit dem Wirt, der offenbar Muhammed Ali hieß, verhandelte.
»Alles in Ordnung«, sagte er, als er sich zu ihr hinsetzte, »die Maschine nach Izmir ist nur halb voll.« Er zwinkerte mit dem linken Auge, er legte ihr mit einer eigenartig ausholenden Geste die Hand auf die Schulter.
Sie aßen eine seltsam gewürzte Gemüsesuppe und weiches Weißbrot. »Schmeckt’s?«, fragte er.
»Ja«, sagte sie, »sehr gut, auch der Tee.«
Er nickte freundlich, fast gönnerhaft, aber sie merkte, dass es ihm nicht wohl war. War es die Angst, die ihm immer noch im Nacken saß, oder war es etwas anderes?
»Hier bist du sicher«, sagte er und zeigte auf die Männer, die Karten spielten. »Die helfen mir alle. Hier drin nimmt mir niemand etwas weg, und du bist beschützt wie in einer großen Familie.«
Dann saßen sie da, nebeneinander wie ein vertrautes Paar, schweigend. Von den Männern schaute keiner herüber. Sie hatten ihr freundlich zugenickt, als sie hereingekommen war und Erdogan sie vorgestellt hatte. Einige hatten einen Gruß gesagt, den sie nicht verstanden hatte. Sie war offenbar nicht unwillkommen hier, immerhin war sie Erdogans Freundin. Aber es war ihr sofort aufgefallen, dass sie die einzige Frau im Raum war. Und sie kam sich immer mehr wie überhaupt nicht anwesend vor.
Sie schaute hinaus zum Gemüsekarren, der auf dem Trottoir stand. Die alte Frau im Wollmantel schraubte eine Thermosflasche auf. Sie hatte Mühe damit, der Verschluss saß fest. Sie fasste ihn aufs Neue, sie krümmte sich vor Anstrengung vornüber, und endlich gelang es ihr. Sie schenkte sich sorgfältig ein, trank, packte ein Wurstbrot aus und biss hinein. Sie kaute langsam, offenbar hatte sie ein künstliches Gebiss. Sie brauchte ziemlich lange, bis sie das Wurstbrot aufgegessen hatte. Dann faltete sie das Papier zusammen und schob es in einen Plastiksack, der an der Deichsel hing. Sie schenkte sich noch einmal ein, freute sich sichtlich an der Wärme des Kaffees, schraubte den Verschluss wieder auf die Flasche und stellte diese auf den Karren. Schließlich verschränkte sie die Arme über der Brust, schob die Hände in die Ärmelenden und wartete.
»Ich gehe schnell hinaus«, sagte Erika, »ich brauche Gemüse.«
Erdogan schaute sie verständnislos an. »Pass auf«, sagte er, »die Straße ist gefährlich. Du bleibst besser hier drin.«
Sie lächelte ihn an und ging hinaus. Sie kaufte ein Pfund Zwiebeln, ein Kilo Karotten und einen großen Weißkohl. Die Frau wog alles sorgfältig ab, legte Gewichtssteine auf, bis die beiden Zungen der Waage eben waren, packte die Zwiebeln, die Karotten und den Weißkohl in Zeitungspapier ein und schob alles in einen Plastiksack.
»Was will das Wetter?«, fragte sie in breitem Elsässer Deutsch. »Das ist ein Fotzelwetter, alles durcheinander. Erst kalt wie an Neujahr, dann warm wie im Mai. Das ganze Feld steht unter Wasser. Aber was will man, Madame? Macht huit Franc, wenn ich bitten darf.«
Erika bezahlte und schaute sich um, ob sie etwas Verdächtiges sehe. Alles war normal, Autos, Fahrräder, Passanten. Alles war schön. Und das Elsässer Gemüse lag gehäuft auf dem Karren, bereit, um gekauft, gerüstet, gekocht und gegessen zu werden.
Als sie ins Café zurückkam, saß Erdogan an einem anderen Tisch mit zwei Kollegen und spielte Karten. Er erhob sich und führte sie zur Bank. Er holte die Jacke, die an seinem Stuhl hing, und gab sie ihr.
»Leg dich hin«, sagte er, »und deck dich mit meiner Jacke zu. Das Beste ist, du schläfst ein bisschen. Morgen früh geht’s los.«
Er zwinkerte wieder mit dem linken Auge und ging hinüber zu den Kollegen.
Sie legte sich hin, sie deckte sich zu. Sie hörte die Männer reden, sie hörte die Musik, die pausenlos lief. Sie mochte diese Musik, sie wusste, dass es Balladen waren, Lieder von Liebe und Tod, Schlager über Frauen und Männer, die sich liebten, die sich verließen, die sich verrieten. Sie hätte diese gesungenen Wörter, die traurigen, die fröhlichen, diese immer wieder aufs Neue mit Inbrunst gesungenen fremden Wörter gerne
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