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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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müssen. War das folglich nicht Urkundenunterdrückung, was Hunkeler da beging?
    Aber wie zum Teufel hätte er denn das Heft zurückgeben können? Mit anonymer Post vielleicht? Und seine Fingerabdrücke auf dem blauen Umschlag?
    Abgesehen davon: Wollte er es überhaupt zurückgeben?
    Er setzte sich auf eine der Aluminiumbänke, die irgendein genialer Architekt auf den Theaterplatz hatte stellen lassen. Theaterplatz, ha! Hunkeler grinste geringschätzig. Tiefgaragenplatz, so müsste das heißen! Denn da unter dem Erdboden verbarg sich nichts anderes als eine Autoeinstellhalle, die der eigentliche Zweck des Theaterneubaus gewesen war. Und dort drüben stand er, der neue Musentempel, ein riesengroßes, viel zu teures Theaterschiff, ein Ozeandampfer in einem schweizerischen Binnensee, in der Zeit der Rezession plötzlich nicht mehr bezahlbar und deshalb nur noch teilweise bespielt.
    Die Wut in Hunkeler wuchs. Das war schlicht ein Verlochen von Geld, das anderswo bitter nötig und äußerst hilfreich gewesen wäre. Aber so war das eben in dieser Stadt. Alles für die Theatergreise, nichts für die Jugend. Denn was war von der Jugend zu erwarten? Nur Unruhe, Krach, Radau.
    Bitter, dachte Hunkeler, sehr bitter. Und wenn einer wie ich, ein abgetakelter Mittfünfziger, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg geboren, aufgewachsen ohne Beatles, ohne Plastik, ohne Jeans, zum Manne geworden in der Zeit des kältesten Kriegs, sich zu sommerlicher Abendstunde durch das Jungvolk drängt, bekommt er es fast mit der Angst zu tun. Denn man hört ja allerlei. Von Entreißdiebstählen, wilden Klopfereien, Gewalt um der schieren Gewalt willen, wie das im Jargon hieß.
    Kultur war doch nichts anderes als Frieden, dachte Kommissär Hunkeler, schwitzend auf einer Aluminiumbank auf dem Dach einer Tiefgarage inmitten der alten Humanistenstadt Basel sitzend. Kultur war Neugier und Liebe, nicht Desinteresse und Hass. Kultur war das gemeinsame Gespräch.
    Polizei aber war Nichtkultur, die Ersetzung des Gesprächs durch den Knüppel. Folglich war er selber ein Stück Nichtkultur. Und warum war er das geworden? Er, ein früher Charlie-Parker-Fan, ein Liebhaber von Georges Brassens? Hatte das vielleicht etwas mit seinem Vater zu tun? Mit dem frühen Tod seiner Mutter?
    Er schaute hoch in den Himmel, ob dort vielleicht ein paar Enten vorbeiflögen, um im nahen Brunngrabenweiher zu wassern. War da nicht das leise Rauschen der Flügel zu hören, das aerodynamische Dreieck zu sehen?
    Er vernahm ein leises, sanftes Schmatzen. Etwas wie intimes Kussgeräusch. Er drehte den Kopf. Rechts von ihm saß ein junges Paar, umschlungen. Unglaublich lieb und schön. Ein Bein des Jungen über den Schoß des Mädchens gelegt, Haar in Haar, der Hals des Mädchens vornübergebeugt. Ihre Hand stak in der Hose des Jungen, kaum wahrnehmbar, so selbstverständlich war das.
    Hunkeler erhob sich, behutsam und leise, er wollte nicht stören. Langsam ging er zwischen den Rabatten durch, wo allerlei tristes Strauchwerk wuchs, gehegt und gepflegt von der Stadtgärtnerei auf enervierend liebevolle Art, als ob wieder einmal die Natur hätte gerettet werden sollen. Er drehte sich um und schaute zurück. Das Liebespaar saß noch dort, voll sanfter Konzentration. Die Mädchenhand war noch in der Hose. Umwerfend, dieses Bild, unerwartet normal.
    Im Restaurant Kunsthalle drin war es kühl, ein Dämmer lag im klassizistisch ausgemalten Raum. Er war fast leer, die Gäste saßen draußen unter den Kastanienbäumen, vor Weißwein und Kaffee. Wie ein Bild von Manet, Tableau d’amour, ein lieblicher Sommerabend unter Laub, gesprenkeltes Licht, das aus den Bäumen tropfte, Liebe war immer noch eine Himmelsmacht.
    Fast heiter ging er durch den Raum zum hintersten Teil, wo seine Freunde saßen und Karten spielten. Gestandene Männer wie er, schlau die Kühle suchend. Eine Weißweinflasche im Eiskübel, Jassteppich auf dem Tisch, Ecke und Kreuz und Schaufel und Herz in den Händen. Es fehlte der vierte Mann, er setzte sich und spielte mit.
    Als er kurz nach Mitternacht seine Wohnung betrat, leicht angetrunken vom kühlen Weißen, etlicher Franken beraubt, denn es hatte ihm wieder einmal den ganzen Abend hindurch auf den Seckel geschneit, wie die Jasser zu sagen pflegten, fühlte er sich luftig und leicht. Er ging ins Schlafzimmer, riss die Tür zur Terrasse auf und trat hinaus. Der Ahorn im Hof hinten rauschte leise, ein Wind ging, die leisen Finger der Nacht. Er grinste, das kitschige Bild der Finger

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