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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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Gerontokraten, die vergreisten Arschlöcher in Moskau, die den Osten in den totalen Konkurs gewirtschaftet und so die Idee des Sozialismus abgewirtschaftet hatten. Immerhin habe es dort keine Arbeitslosigkeit gegeben, las er. Welch stupider Satz! Hätten es denn die senilen Tattergreise je zugelassen, dass die Mauer fiel, wenn sie nicht total pleite gewesen wären? Nein, nie und nimmer. Sie hätten die Panzer rollen lassen, wie gehabt. Nur konnten sie eben den Treibstoff nicht mehr bezahlen.
    Die Zeitung ödete ihn an, diese rechthaberische Hilflosigkeit, die allerdings auch seine eigene war. Er war immer ein Linker gewesen, seit er sich erinnern konnte, mit Leib und Seele und Mutterhand. Und er würde immer ein Linker bleiben. Links hieß für ihn, die Wahrheit zu erkennen und auszusprechen, auch wenn das Mut brauchte. Aufstehen und einen üblen Lehrer an die Wand drücken, auch wenn das nicht Mode war. Nach vorn gehen und einen gedemütigten Mitschüler an der Hand nehmen. Sich von einer Frau freundlich verabschieden, wenn man einen Kontinent verließ. Und bitte nicht lügen, die eigene traurige Wahrheit akzeptieren.
    Er trotzte. Er weinte fast. Er hätte gern geschrien, mit jemandem gestritten bis aufs Blut.
    Da sah er einen ganzseitigen Artikel eines katholischen Pfaffen, den er flüchtig kannte. Er handelte von der Rösti, dem alten, bewährten Schweizer Kartoffelgericht, Trost und Labe ganzer Generationen. Die Rösti als vollkommene Form, als platten, nährenden Vollmond auf dem Tisch, und jede und jeder kann sich ein Stück abstechen davon, Mutter und Vater und Kind. Die Rösti als alles umfassenden Weltkreis, als ideale Form für die Umhegung der größtmöglichen Fläche mit dem kleinsten Wärmeverlust. Dieser Artikel war so frisch, so neugierig auf die eigenen Wörter geschrieben, dass Hunkeler bei einem Haar wieder zu weinen anfing. Was war denn los, zum Teufel, was hatte ihn dermaßen sentimentalisiert?
    Er erhob sich, hängte die Zeitung an die Wand zurück und ging hinaus. Es war Abend geworden inzwischen. Der Himmel hatte aufgeklart, eine helle Reinheit hing da oben. Als er über die Mittlere Brücke fuhr, sah er den Mond in der Dämmerung über Kleinbasel stehen. Er war noch nicht ganz rund. Aber er hing doch gelb und schön da oben.
    Drüben an der Ecke Todtnauerstraße-Lorbeerstraße betrat er eine Telefonkabine und schaute nach. Es gab keine Denise Zaugg, die in Basel einen Telefonanschluss hatte. Er hätte auf den Lohnhof anrufen und nachfragen können, aber er wollte nicht. Es ging niemanden etwas an, wie die junge rothaarige Lady hieß.
    Er parkte vor der Nummer 146 und machte sich daran, die Namensschilder an den Klingeln abzulesen. Es war fast dunkel, die nächste Straßenlampe hing über der Kreuzung vorn. Er beugte sich vor und strengte die Augen an. Eine Hornbrille hätte er gebraucht, mit scharf geschliffenen Gläsern.
    »He, Manno«, rief jemand von der Straße her, »suchst du das Schlüsselloch, oder bist du betrunken?«
    Er drehte sich um und sah einen Streifenwagen. Es war das Alarm-Pikett 3 mit Korporal Edi Kälin, er erkannte ihn sogleich. Einen Augenblick dachte er daran wegzurennen. Warum hatte er den Wagen nicht kommen hören, er Idiot?
    »Wo brennt’s denn, Manno?«, rief Kälin jovial, er konnte durchaus auch freundlich sein, wenn er gute Laune hatte. »Komm doch einmal her und zeig deinen Ausweis.«
    Hunkeler trat aus der Türnische heraus, betont langsam. Nur keine Hast, nur Schuldige rennen. Sorgfältig setzte er sein Sonntagsgesicht auf und salutierte.
    »Guten Abend, Herr Kälin. Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
    »Ach so«, sagte Kälin blöde, »das ist ja der Hunkeler. Entschuldigen Sie bitte, Sie habe ich hier nicht vermutet.«
    »Ein Freund von mir wohnt in diesem Haus«, sagte Hunkeler überflüssigerweise, er merkte es zu spät. »Er ist leider nicht zu Hause.«
    Peinliche Pause. Dann: »Dürfen wir Sie irgendwo hinbringen, Herr Kommissär?« Kälin hechelte fast. »Ich bitte Sie nochmals um Entschuldigung. Es ist keine gute Gegend hier, und in diesem Pullover sehen Sie beinahe aus wie ein…«
    »Wie was?« Distanziert kam das jetzt. Und scharf.
    »Es hätte ja ein ungebetener Gast sein können. Ein Einbrecher.«
    »Haben Sie eigentlich vergessen«, sagte Hunkeler, »dass von der Basler Polizei kein Unbekannter geduzt wird? Und das ›He Manno‹ will ich nie mehr hören.«
    »Aber selbstverständlich, Herr Kommissär.« Kälin schaute traurig auf seine schweren

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