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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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aufgepasst.
    Überhaupt habe ich mich in allem gemäßigt. Man muss aufpassen, bevor es zu spät ist. Sonst nützt es nichts mehr. Die Gesundheit erträgt nicht alles. Ich habe das gemerkt damals, als ich Malaria hatte.
    Nach drei Jahren bin ich zum ersten Steward befördert worden. Ein schöner Posten, ein guter Lohn. Ich hatte den ganzen Service unter mir. Ich habe immer geschaut, dass alles klappte, ohne dass ich jemanden ungerecht behandelte. Ich kann sagen, dass ich geachtet und beliebt war.
    Ich blieb 17 Jahre auf der Andalusia. Damals habe ich mir mein kleines Vermögen erarbeitet, ich habe einiges gespart. Es ist mir in meinem Alter von großem Nutzen.
    Die Jahre sind mir vergangen wie am Schnürchen. Vor allem während des Zweiten Weltkrieges war ich froh, zur See zu fahren. Ich hätte meine Zeit nicht als Soldat vertrödeln mögen. In der Karibik merkte man nicht viel vom Kriegsgeschehen. Man hörte zwar hin und wieder von deutschen Unterseebooten. Aber uns ist nie etwas passiert.
    Der Entschluss, in mein Vaterland zurückzukehren, kam ganz plötzlich. Ich weiß noch, wie ich auf Zwischendeck stand an der Reling. Es ging gegen Abend, die fliegenden Fische pfeilten über das Wasser. Da dachte ich: So, das habe ich gesehen. Jetzt kehre ich heim.
    Ich heuerte ab und blieb noch zwei Wochen in Havanna, bis ein Schiff kam, das mich nach Europa mitnehmen konnte. Fliegen wollte ich nicht, schließlich bin ich Seemann. Havanna hatte sich sehr verändert, seit ich hier angekommen war. Die Leute waren ärmer geworden, elender, das war wegen dem Diktator Battista, der ein großer Schurke war. Er wurde ja dann von Castro zu Recht vertrieben.
    Ich suchte die Frau von damals, die von mir ein Café au lait haben wollte. Ich fragte mich durch, bis ich jemanden fand, der mir sagte, sie sei vor wenigen Jahren gestorben. Das war ein harter Schlag für mich. Denn nun hatte ich keine einzige intime Person, von der ich mich verabschieden konnte.
    Ich schiffte dann ein und erreichte kurz vor Weihnachten 1955 Le Havre. Den Heiligen Abend verbrachte ich in Paris. Am Nachmittag suchte ich den Louvre auf und schaute mir die Mona Lisa an. Ein einmaliges Bild, diese Frau.
    Am Stephanstag gegen Abend traf ich im Französischen Bahnhof in Basel ein und betrat Schweizer Boden. Ich mietete mich im Hotel Blaukreuz am Petersgraben ein. In den nächsten Tagen suchte ich eine Stelle und eine Wohnung. Das Dorf Barzwil habe ich nie mehr betreten.«
    Hunkeler erhob sich, behutsam, als ob etwas hätte zerbrechen können. Er schloss das Heft mit der steilen Schrift, die er liebte wie seine eigene, und versorgte es im Eiskasten.
    Den Pullover behielt er an, er fröstelte noch immer. Der Bach war doch kälter gewesen, als er gedacht hatte. Er stieg hinunter, setzte sich ins Auto und fuhr los.

Die Wirtschaft zum Kornhaus war geöffnet, was ihn erstaunte, denn die Stadt schien ausgestorben zu sein an diesem frühen Sonntagabend. Es saßen nur wenige Gäste da, meist junges Gemüse. Einen alten Bibliothekar sah er, einen ehemaligen Kommunisten, der noch im Mai 1968, als die Panzer des Warschauer Paktes Prag besetzt hatten, stur festgehalten hatte an der heiligen Doktrin. Hunkeler hatte das nicht vergessen, er hatte das Gedächtnis eines Elefanten, und er grüßte ihn nicht. Der Bibliothekar grüßte ihn übrigens auch nicht.
    Des Weiteren sah er einen Jazz-Bassisten und Graphiker im Nebenberuf, sympathisch rundlich anzuschauen. Der winkte ihm, und er nickte zurück.
    Was suchte er hier? Er wusste es schon, aber er gab es nicht zu. Das hier war eine Szenenbeiz, die in war. Ein Biotop für suchende, kritische Leute, für Walfischretter und Polizistenhasser. Aber hatte denn die junge Frau mit dem kurzen, rötlichen Haar suchend und kritisch ausgesehen? Nein, die hatte entschlossen ausgesehen.
    Er erhob sich und nahm eine Zeitung von der Wand, das einzige linke Blatt von einigem Format hierzulande. Er blätterte darin herum, er wühlte sich richtiggehend durch die Seiten. Er las mehrere Artikel an, stets war es das Gleiche. Nichts als linke Enttäuschung und Rechthaberei. Die hohen Ozonwerte? Die Schuld der Autopartei, beileibe nicht die Schuld der AutofahrerInnen, zu denen mit Sicherheit auch viele LeserInnen dieser Zeitung gehörten. Die Misere in Nicaragua? Die USA waren schuld, sicher nicht die SandinistInnen, die die entscheidenden Wahlen verloren hatten. Der wirtschaftliche Zusammenbruch im Osten? Da war der Kapitalismus dran schuld und nicht die

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