Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
haben, was mich manchmal, wenn ich mein Leben überdenke, fast reut.
Am schönsten war es, wenn es Nacht wurde in Havanna. Das ging ganz schnell, eine langsame Dämmerung wie in der Schweiz gab es dort nicht. Wenn die Sonne unterging, wurde es sogleich dunkel, und dann kamen die Sterne. Eine Lichterpracht! Dann setzten wir uns ins Beiboot und fuhren an die Mole, um festen Boden zu betreten. Am Morgen, wenn die Sonne aufging, fuhren wir zurück aufs Schiff.
Ich bin dann krank geworden. Nach knapp einem Jahr war das. Es wusste niemand richtig, was es war. Vermutlich die Malaria. Ich habe abgeheuert auf der Carona und habe mich bei einem Mädchen einquartiert. Ich hatte ein bisschen gespart, denn ich habe mein ganzes Leben lang aufs Geld geschaut. Das muss man, wenn man armer Leute Kind ist. Sonst kommt man unter die Räder.
Sie hat mich gesund gepflegt, drei Monate lang. Dann sagte sie, sie möchte mit mir zusammen gern ein Café au lait machen. Ein Café au lait ist ein Mischlingskind. Da wusste ich, was es geschlagen hatte, und bin abgehauen. Denn ich wollte nicht ein Kind machen und dann nicht bei ihm bleiben. Aber dableiben wollte ich auch nicht, ich wollte frei sein. Also floh ich.
Ich heuerte an auf einem Musikdampfer mit dem Namen Andalusia. Als Steward. Er befuhr die ganze Karibik, Kingston, Port au Prince, dann hinüber nach New Orleans und hinauf bis Baltimore. Ich verdiente gutes Geld, habe aber auch viel gearbeitet.
Man macht sich im Allgemeinen falsche Gedanken vom Seemannsleben. Das kommt vor allem von den Liedern des Freddy Quinn. Diese Lieder haben mit dem wirklichen Leben auf See fast nichts zu tun. Nur wenn man eine Nacht lang vor Anker liegt in einem karibischen Hafen und gerade Landgang hat, dann knallen die Korken. Das geschieht aber nur selten. Der Rest ist Mühsal und Schweiß. Und ich habe immer noch meine verletzte Liebe mit mir herumgetragen, jahrelang. Das hörte nie richtig auf.
Etwas muss ich allerdings in aller Deutlichkeit sagen. Das Leben ist dort viel leichter, froher. Ich denke, dass das vor allem vom Himmel herkommt, der anders ist als bei uns, heller und größer, von der Temperatur, vom Wasser. Ich habe viel auf Deck gearbeitet, im Service. Ich war ein flotter Bursche, die weiße Uniform stand mir. Ich habe oft in den Himmel hinaufgeschaut in der Nacht, wie die Sterne vorbeizogen, langsam wie der Mond.
Ich habe mit der Zeit auch Spanisch gelernt. Das musste sein, um mich mit den Leuten unterhalten zu können.
Um meine Einsamkeit zu überwinden, unter der ich nächtelang litt, habe ich versucht, meinen Jugendfreund Willy Holzherr aus Barzwil zu überreden, herüberzukommen. Sie haben einen Mechaniker gesucht, er hätte sich gut geeignet und hätte gut verdient. Er hat mir nicht zurückgeschrieben. Das war eine Enttäuschung.
Einmal ist ein Neuer gekommen, ein Schweizer, knapp zwanzig Jahre alt. Aus Steinen bei Schwyz. Wir sind eine Woche vor Havanna gelegen, und er hat sich in eines der Mädchen verliebt. Als wir in See stachen, schwatzte er uns die ganze Zeit die Ohren voll. Coiffeuse sei sie, er habe sich verlobt, und das nächste Mal, wenn wir Kuba anlaufen würden, würde er sie heiraten. Ach so, sagte einer von uns, wie heißt sie denn? – Lucie, sagte er. – Aha, sagte ein anderer, wohnt sie vielleicht im vierten Stock des blauen Hauses über dem Hafen? – Ja, strahlte er. – Und schläft sie in einer Gitterbettstatt mit weißen Rosen?, fragte ein Dritter, und trägt sie immer noch ein Silberkettchen an der linken Fußfessel?
So zogen wir ihn auf, und er weinte, als er es merkte. Es war eine harte Lehre für ihn, er blieb lange traurig.
Ich bin auf diesem Schiff geblieben, weil eine gute Stimmung und eine ausgezeichnete Kameradschaft war. Auf einem solchen Schiff hängt alles von der Führung ab. Sie darf nicht zu nachsichtig sein, aber auch nicht zu hart. Unsere Führung war gut. Der Kapitän war Norweger und hieß Thor Erikstad. Ein alter Seebär war das, schon seit über dreißig Jahren auf See, der gewaltige Mengen Rum vertrug. Aber er war kein Alkoholiker, er war stets auf dem Posten, wenn es ernst galt.
Überhaupt der Alkohol, der ist ein Problem auf See. Man lebt auf so einem Schiff fast wie im Mutterleib drin, wo im Grunde nichts Schlimmes passieren kann. Man ist aufgehoben im Bauch des Schiffes. Da liegt es nahe, sich dem Trunk hinzugeben, besonders in der Nacht, wenn man allein ist. Da muss man kolossal aufpassen, dass es einen nicht erwischt. Ich habe
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