Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
Vom Netzwerk:
Hände. »Dreieckland, alemannische Region, Schwestern und Brüder! Ein Dampfkessel ist das, und mittendurch geht die Völkerwanderung mit Schwert und Spieß.«
    Er schaute zu, wie sie sich den Schweiß abwischte, erst über der Brust, dann im Nacken und in den Achselhöhlen.
    »Entschuldigung«, sagte sie, »du kannst mir nicht folgen, nicht wahr?«
    »Doch«, sagte er. »Apropos Völkerwanderung. Im Münster liegt ein Bischof begraben, der wurde von den Hunnen erschlagen. Das steht auf einer Tafel neben seinem Sarkophag.«
    »Ein kühler Steinsarkophag, das wär’s«, sagte sie. Sie lachte plötzlich. »Die Hitze drückt mir auf den Geist, und ich rede Unsinn. Wie geht es denn dir, mein Freund und Helfer? Hast du einen angenehmen Urlaubstag verbracht?«
    »Hör auf.«
    Er lächelte matt. Dann legte er ihr die Hand in den Nacken, streichelte sie.
    Als er nach Hésingue den Hügel hochfuhr, wehte Kühle herein. Sie war fast mit Händen zu greifen, sie legte sich ins Haar, auf die Haut. Nach wenigen hundert Metern öffnete sich oben die weite Sundgauer Landschaft. Maisfelder, kilometerweit, hin und wieder ein Stück Laubwald, ein Kirchturm über Obstbäumen. Im Süden der dunkle Jura, im Rückspiegel der Schwarzwald.
    »Wir fahren zu Jaeck«, sagte er, »wenn es dir recht ist. Und dort will ich dir etwas erzählen.«
    »Jaeck«, sagte sie, »ist mir immer recht. Und wenn du mir etwas erzählen willst, so fang an.«
    Er bog ab in Richtung Folgensbourg, rollte mit neunzig über die sanft geschwungene Straße, schaute übers offene Feld. Da fiel ihm ein Satz ein, den sein Vater gesagt hatte, vor Monaten (oder war es vor Jahren gewesen?), als sie zusammen hier durchgefahren waren. Das sieht hier aus wie ein großer, schöner Park. So hatte der Satz gelautet.
    Er zündete sich eine Zigarette an, hustete. Dann fing er an zu erzählen, was er am Morgen am Rhein erlebt hatte. Er berichtete vom Schrei, vom flatternden Vogel, vom Aufklatschen auf dem Wasser. Vom Auftauchen des Kopfes, vom Winken des Arms. Vom Holländer im Boot, der den alten Mann herangerudert hatte, seltsam verrenkt. Von der Brille, von den Leberflecken, auch vom weißen Hemd mit der violetten Seidenkrawatte.
    »Am Nachmittag bin ich eingeschlafen«, erzählte er. »Plötzlich bin ich erwacht. Es war wie ein Auftauchen aus einem tiefen Brunnen, von dem ich gar nicht gewusst habe, dass es ihn gibt. Das war fast schmerzlich, das hat mich verstört. Verstehst du mich?«
    »Das war eine Begegnung mit Seiner Majestät, dem Tod«, sagte Hedwig. »Wer von ihm angehaucht wird, ist geschockt. Das ist normal.«
    »Hör auf«, sagte Hunkeler. »Ich frage mich, warum ich dir das alles erzähle, wenn ich als Antwort so plattes Zeug zu hören bekomme. Oder soll diese Majestät etwa ein Trost sein?«
    »Nein, da gibt es keinen Trost.«
    Er ging auf fünfzig zurück, rollte hügelan durchs Dorf. Zuoberst vor dem Restaurant Aigle parkte er.
    »Ich ertrage das nicht«, sagte er, als sie ausgestiegen waren. »Ich hätte ihn nämlich herausholen können, wenn ich das unbedingt hätte tun wollen. Warum habe ich es nicht getan? Weißt du es?«
    »Ja.« Sie nahm den Kamm aus der Tasche, kämmte sich, betrachtete sich im Taschenspiegel. »Wie sehe ich aus?«
    »Du machst mich wahnsinnig«, schrie er. Er spuckte auf den Boden, hob den Blick zur niederen Sonne: ein mattes Flimmern.
    »Entschuldigung. Ich will dich nicht anschreien. Sondern ich will einen freundlichen Abend mit dir verbringen. Und übrigens schaust du aus wie immer, nämlich unverschämt gut für dein Alter.«
    »Herrgott«, sagte sie, »wie konnte ich mich bloß in einen solchen Rüpel vergaffen.«
    Sie ließ ihn stehen, stieg die drei Sandsteinstufen hoch und verschwand in der Wirtschaft. Er schüttelte den Kopf, setzte sich auf die Bank vor dem Haus und wartete, bis er sich beruhigt hatte. Eigentlich ein schöner Ausblick, diese Sicht auf den Jura, auf die Stadt Basel links unten mit den weißen Fabrikbauten. Angenehm die Luft. Und ringsum lag tatsächlich so etwas wie ein großer, schöner Park.
    Als er den Wirtsraum betrat, saß Hedwig am Tisch rechts hinten neben Kurt Wiemkens Bild mit dem onanierenden Clown. Sie hatte die Speisekarte vor sich, lächelte vergnügt.
    »Unglaublich«, sagte sie, »wie kühl es hier ist. Setz dich und rede mit mir ein vernünftiges Wort.«
    Sie bestellten Schweinebraten mit Pommes frites und Salat, dazu eine Flasche Beaujolais und Mineralwasser.
    »Die Wahrheit ist nämlich«,

Weitere Kostenlose Bücher