Hunter 05 - Späte Vergeltung
Notruftelefon meldet und sagt, es wäre alles in Ordnung, und wenn mitten in der Nacht niemand die Tür aufmacht, wenn die Polizei klingelt, dann gehe ich lieber das Risiko ein, eine Tür fälschlich einzuschlagen, als das Leben einer Frau zu gefährden, indem ich nichts tue.«
Chloe nickte. »Das ist verständlich. Die Frage ist für mich nur, ob Sie auch so reagiert hätten, wenn
nicht
Jesse Curtis’ Name gefallen wäre.«
Zach zögerte kurz. »Ja, ich denke schon.«
Ihre Miene drückte Skepsis aus, als sie sich zur Jury umdrehte. »Und
ich
denke, dass die Polizei nur so reagiert hat, weil der Name Curtis fiel.«
Der Staatsanwalt sprang auf. »Einspruch!«
»Stattgegeben.« Der Richter wandte sich an die Jury. »Sie werden die Bemerkung von Ms Hunter ignorieren.«
Zach unterdrückte ein Schnauben. Zwar wurde die Jury dazu angewiesen, doch sie würden es ganz sicher nicht vergessen. Was zum Teufel tat Chloe da? Wollte sie wirklich, dass ein Verbrecher wie Curtis wieder auf die Straße kam? Oder war das alles nur ein Spiel für sie, damit sie sich profilieren konnte? Als er ihre angespannte Miene sah, verwarf er den Gedanken wieder. Offensichtlich dachte sie, dass das, was sie tat, richtig war.
»Ms Hunter, ich möchte Sie nicht verwarnen müssen.«
»Das ist nicht nötig, Euer Ehren. Ich habe nur noch eine Frage an den Zeugen.« Der Richter gab ihr mit einer Geste zu verstehen, dass sie fortfahren konnte. »Mr Murdock, in welchem Zustand haben Sie den Angeklagten vorgefunden?«
»Er lag im Wohnzimmer auf dem Sofa, anscheinend war er völlig betrunken. Er war nicht in der Lage aufzustehen, deshalb haben wir ihn mit einem Krankenwagen abtransportieren lassen.«
Chloe blickte ihn direkt an. »Und Sie glauben wirklich, dass jemand in diesem Zustand die Tat begehen konnte, für die Mr Curtis jetzt angeklagt ist?«
Zach antwortete nicht, und Chloe erwartete das auch offensichtlich nicht. Stattdessen wandte sie sich wieder an die Jury. »Der Blutalkoholspiegel von Mr Curtis betrug kurz nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus zwei Komma fünf Promille. Außerdem wurden in seinem Blut verschiedene Drogen gefunden. Zwei Tage später konnte er immer noch nicht richtig laufen, und bis heute plagen ihn Erinnerungslücken.«
»Wenn Sie keine weitere Frage an den Zeugen haben, Ms Hunter, ist er hiermit entlassen.«
»Nein, Euer Ehren.« Sie lächelte Zach schwach an. »Danke, Mr Murdock.«
Zach nickte knapp, verließ den Zeugenstand und ging den Gang hinunter. Kurz bevor die große Tür hinter ihm ins Schloss fiel, hörte er noch, wie der Richter eine Pause verkündete. Rasch strebte Zach zum Treppenhaus, damit er nicht ins Gedränge kam. Er hatte so viele andere Fälle zu bearbeiten, dass er es sich nicht leisten konnte, hier noch mehr Zeit zu verlieren. Auch wenn es ihn vielleicht interessiert hätte, welche Beweise seine Kollegen von der Mordkommission zusammengetragen hatten und wie das Verfahren ausgehen würde. Aber das würde er wohl spätestens aus der Zeitung erfahren.
Verdammt, musste er so rennen? Mit ihren hochhackigen Schuhen konnte sie sich nicht so schnell bewegen – und vor allem machte es einen Heidenkrach auf den Fliesen. Chloe dachte darüber nach, ihn zu rufen, aber das würde wohl auch etwas komisch wirken, wenn die Pflichtverteidigerin laut schreiend hinter einem Zeugen herlief. Was hatte er es auch so eilig? Es war kurz nach Mittag, vielleicht hatte er einfach Hunger, aber irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass er vor ihr floh.
Chloe verdrehte die Augen, als ihr einfiel, was ihr an der Situation bekannt vorkam. Es war beinahe wie ein Déjà-vu, nur dass sie sich diesmal nicht auf der Ranch in Montana befanden, sondern im Supreme Court von New York. Und sie war inzwischen gestandene Anwältin und ließ sich nicht so einfach abweisen, wenn es um so etwas Wichtiges wie ein Menschenleben ging.
Inzwischen glaubte sie nämlich fest daran, dass Jesse Curtis unschuldig war. Gut, zumindest des Mordes an Candice Meadows – ansonsten war er ein ziemliches Schwein. Sie wusste selbst nicht, warum sie sich solche Mühe gab, seine Unschuld zu beweisen; rein moralisch gehörte Jesse sowieso hinter Gitter. Es gab für sie keinen Zweifel, dass er diverse frühere Freundinnen geschlagen und bedroht hatte. Aber deshalb war er noch kein Mörder. Und es zählte nur, den wahren Mörder ins Gefängnis zu bringen, damit er nicht noch einmal jemandem so etwas antun konnte.
Mit einem letzten Sprint hatte
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