Hunter 05 - Späte Vergeltung
billig werden würde. Und das alles nur wegen dieses Idioten, der bei Rot über die Ampel gefahren war! Da sie jetzt nichts mehr daran ändern konnte, entschloss Chloe sich, einfach dankbar zu sein, dass sie nicht schwerer verletzt worden war, und die Angelegenheit zu vergessen.
Als sie schließlich zwanzig Minuten später die Räume des Büros der Pflichtverteidigung betrat, sah sie schon an der angestrengten Miene der Sekretärin, dass sie wohl nicht so einfach davonkommen würde. Rachel deutete mit dem Kopf zu Chloes Büro und machte mit den Fingern ein Kreuz, ihr geheimes Zeichen dafür, dass Marie auf einem Kreuzzug war und jeder in Deckung gehen sollte. Was leider nicht möglich war, wenn Marie sich in ihrem Büro aufhielt. Mit einem innerlichen Seufzer schüttelte sie resigniert den Kopf in Rachels Richtung und betrat ihren Raum. Marie saß hinter Chloes Schreibtisch und blätterte in ihren Akten. Das war auch eine Sache, die ihr gehörig gegen den Strich ging. Zwar war Marie ihre Vorgesetzte und sie konnte sich jederzeit erkundigen, woran Chloe arbeitete, aber dies hier war ihr Büro, ihr Schreibtisch – und damit tabu für jeden anderen.
Marie sah auf, als Chloe eintrat. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, zu verbergen, dass sie wieder geschnüffelt hatte. »Da bist du ja endlich.«
Chloe antwortete mit ruhiger Stimme, während sie innerlich kochte. »Hallo, Marie. Suchst du etwas?« Normalerweise war sie diplomatischer, aber die Ereignisse hatten sie jeglicher Geduld beraubt.
Für einen winzigen Moment blitzte Wut in Maries Augen auf. »Ja, dich! Es kann nicht sein, dass hier jeder kommt und geht, wie er will.«
Chloe stützte die Hände auf die Tischplatte und beugte sich vor. »Ich habe angerufen, dass ich später komme, weil ich beinahe von einem Auto überfahren worden wäre. Wenn dir das lieber ist, kann ich mich natürlich auch krankmelden oder den Tag freinehmen.«
Marie war anzusehen, dass sie etwas dazu sagen wollte, aber schließlich presste sie nur die Lippen zusammen. »Ich wollte mich erkundigen, wie es mit dem Curtis-Fall läuft. Welche Strategie verfolgst du dort? Verminderte Schuldfähigkeit?«
Ein Blick auf die Unterlagen, die aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lagen, genügte, um zu wissen, warum Marie diese Frage stellte. Allerdings trug Chloe den Notizblock mit ihren Gedanken zum Fall immer bei sich, deshalb hatte Marie nur Zugriff auf die reinen Fakten gehabt.
Chloe stellte ihre Tasche ab. »Das wäre eine Möglichkeit, aber momentan tendiere ich zu unschuldig.«
Maries Augen weiteten sich. »Du solltest einen Deal mit der Staatsanwaltschaft eingehen, um das Strafmaß zu drücken.« Ein scharfes Lächeln spielte um ihren Mund. »Offensichtlich bist du noch nicht so weit, und dir fehlt einfach die Erfahrung.«
Chloe bemühte sich erneut, gelassen zu reagieren. »Ich weiß genau, was ich mache. Wenn ich herausfinde, dass mein Mandant unschuldig ist, werde ich auf unschuldig plädieren. Ist er schuldig, gehe ich auf verminderte Schuldfähigkeit aufgrund von Alkohol.«
Verwirrt blickte Marie sie an. »Aber der Fall ist doch völlig eindeutig, Curtis wurde mehr oder weniger neben der Leiche gefunden. Ich glaube, du verrennst dich da in etwas.«
So knapp wie möglich schilderte Chloe ihr die Existenz eines zweiten Mannes in der Wohnung, welcher der Notrufzentrale geantwortet hatte. Bei den weiteren Beweisen ging sie nicht ins Detail, sondern machte nur deutlich, dass es Gründe für eine Unschuldsvermutung gab.
»Aber die Polizei hat doch alles untersucht und glaubt, dass er der Täter ist.«
»Weil es auf den ersten Blick so aussieht. Deshalb hat sich niemand die Mühe gemacht, tiefer zu graben. Aber jetzt gibt es echte Indizien für seine Unschuld, und dafür brauche ich eine offizielle Handhabe, um die Beweisstücke bei der Polizei noch einmal gründlich untersuchen zu lassen, sofern das noch nicht geschehen ist. Ich habe das Gefühl, dass die Polizei die Sache extra langsam behandelt, um nicht zugeben zu müssen, dass sie eventuell den falschen Täter hat. Denn wenn ich mit meiner Annahme recht habe, hat jemand anderer Candice Meadows ermordet – und Jesse Curtis muss freigelassen werden.«
Jetzt lag deutliches Interesse in Maries Augen. Ein Freispruch wäre für ihre Abteilung ein Gewinn, und sie liebte nichts mehr, als zu gewinnen. Selbst wenn sie den Ruhm dafür mit Chloe teilen musste. »In Ordnung, ich werde eine erneute Untersuchung der Beweisstücke
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