Hunter 05 - Späte Vergeltung
sich auf. Es brachte nichts, immer über die gleichen Dinge nachzugrübeln, es wurde Zeit, dass sie selbst aktiv wurde. Entweder, um die Situation zu ändern, oder um sich ein für alle Mal davon zu verabschieden. Aber das würde warten müssen, bis der Prozess gegen Curtis beendet war, denn Zach hatte recht, es war besser, wenn sie so lange etwas auf Abstand gingen.
Gerade hatte sie sich wieder eingearbeitet, als die Tür ihres Büros aufging und Marie hineinstürmte. Ihre Augen glitzerten, und sie wedelte mit einigen Papieren herum. »Die Beweisstücke werden neu untersucht. Bis diese Untersuchung abgeschlossen ist, wird der Prozess vertagt. Richter Holbrook ist gelinde gesagt etwas angesäuert, dass ihm offensichtlich unvollständige Beweise vorgelegt wurden, und er verlangt diesmal einwandfreie Gutachten, bevor er den Prozess fortführt.«
Erleichtert lächelte Chloe ihre Vorgesetzte an. »Das ist gut. Wir bekommen dann auch die vollständigen Ergebnisse vorgelegt, sobald sie vorliegen, oder? Damit muss ich mich ja auf den weiteren Lauf des Prozesses vorbereiten.«
»Selbstverständlich. Holbrook wird die weiteren Verhandlungstage erst dann anberaumen, wenn wir ausreichend Zeit hatten, unsere weitere Strategie zu planen.« Marie zog ihre bereits tadellos sitzende Bluse zurecht. »Und diesmal werde ich mit in den Gerichtssaal gehen, wäre doch gelacht, wenn wir den Prozess nicht gewinnen würden.«
Chloes Lächeln erlosch, und sie unterdrückte gerade noch ein Stöhnen. Sie hätte sich denken können, dass Marie sich auf den Prozess stürzen würde, sobald er für sie interessant wurde. Und das war mit der Möglichkeit, ihn prestigeträchtig zu gewinnen, geschehen. Leider würde Chloe nichts dagegen unternehmen können, denn es war Maries Recht als ihre Vorgesetzte, einen Prozess zu übernehmen. Trotzdem machte es sie wütend, dass sie selbst die ganze Arbeit und den Verdacht gehabt hatte, dass an der Sache etwas nicht stimmte, und nun Marie womöglich die Glückwünsche einheimsen würde. Nicht, dass Chloe darauf so viel Wert legte, aber sie sah auch nicht ein, dass jemand anderes von ihrer Arbeit profitierte.
»Ich möchte, dass du mir alle Akten zur Verfügung stellst, Chloe – inklusive deiner Notizen zu dem Fall. Vor allem interessieren mich die Stellen, an denen die Beweise der Polizei bisher ungenau waren.«
»Natürlich, du bekommst sie heute Nachmittag.« Sie sagte es durch zusammengebissene Zähne, aber immerhin schaffte sie es, Marie nicht ihre Meinung zu sagen.
Das war wohl wieder einer dieser Fälle, bei dem ihre Brüder sagen würden, dass sie nicht verstanden, warum ihre Schwester Anwältin sein wollte. Es passte einfach nicht zu ihr, sich so etwas gefallen zu lassen, ohne ihre Meinung zu sagen. Aber das war der Preis dafür, beim Büro der Pflichtverteidigung angestellt zu sein. Vielleicht sollte sie sich doch irgendwann überlegen, sich als Rechtsanwältin selbstständig zu machen. Wenn sie es gut plante, konnte sie dann trotzdem weiterhin auch ärmere Angeklagte vertreten. Sie wollte nicht damit reich werden, sie musste nur dafür sorgen, dass es für das teure Leben hier in New York reichte.
»Und Chloe …« Marie war bereits zur Tür gegangen und drehte sich kurz vorher noch einmal zu ihr um.
»Ja?«
»Nächstes Mal will ich sofort informiert werden, wenn sich ein Prozess nicht so entwickelt wie erwartet, klar? Ich will nicht noch einmal vor dem Deputy Public Defender zugeben müssen, dass ich nicht weiß, wie sich ein Fall entwickelt, der meinem Büro zugewiesen wurde. Haben wir uns verstanden?«
»Selbstverständlich.« Ja, sie würde sich eindeutig überlegen, ob sie sich selbstständig machen sollte.
8
Chloe trat aus dem Gerichtsgebäude und blinzelte wegen der grellen Sonne und dem Blitzlichtgewitter, das sofort einsetzte, sowie sie in Begleitung von Jesse Curtis draußen erschien. Einerseits war sie glücklich, dass das Verfahren gegen ihren Mandanten aufgrund der unklaren Beweislage eingestellt worden war, andererseits hieß das aber auch, dass der wahre Täter immer noch frei herumlief – und dass Curtis wieder auf die Menschheit losgelassen wurde. Zwar hatte er sich während des Prozesses gut benommen, um die Jury von seiner Unschuld zu überzeugen, aber er war und blieb ein Arschloch, das keinerlei Respekt vor Frauen hatte. Sie konnte nur hoffen, dass er etwas aus der Sache gelernt hatte, und nie wieder eine Frau misshandelte, wie er das laut Zach schon früher getan
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