Hunter 05 - Späte Vergeltung
hatte.
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Chloe blickte von ihren Unterlagen auf und rieb sich über die schmerzenden Augen. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass sie den größten Teil des Nachmittags in die Akten vertieft gewesen war. Kein Wunder, dass ihr Nacken schmerzte und ihre Augen sich anfühlten, als hätte sie Sand unter den Lidern. Mit den Fingern rieb sie über die Verspannungen und blinzelte, bis sie wieder etwas auf dem Computerbildschirm sehen konnte. Während der letzten Stunden war sie jedes Protokoll und jede Information durchgegangen, die sie zu Candice Meadows hatte finden können, und hatte sie mit dem anderen Fall verglichen. Da ihre Unterlagen nicht viel über das Vorleben des Opfers hergaben und sich auch während des Prozesses keine Freunde oder Verwandte gemeldet hatten, die Chloe hätte befragen können, wollte sie nun über das Internet ihr Glück versuchen.
Der Name Candice Meadows brachte einige Einträge zutage, die sich aber alle mit dem Mord und anschließenden Prozess beschäftigten. Nur eine weitere Seite fand sich, die ein altes Jahrgangsfoto einer Highschool zeigte. Chloe beugte sich vor und betrachtete das grobkörnige Bild genauer. Mit Mühe machte sie schließlich eine lächelnde Candice ausfindig. Die Vorstellung, dass die Aufnahme erst dreizehn Jahre alt war, machte Chloe traurig. Das aktuelle Foto von dem Opfer zeigte deutliche Spuren ihres harten Lebens und dass Candice nicht glücklich gewesen war.
Da sie nicht weiterkam, gab Chloe schließlich nach einigem Überlegen »Candy« und »Stripper« ein. Das gab deutlich mehr Treffer, und sie klickte sich mühsam durch die Ergebnisliste. Bei einigen Seiten hatte sie das dringende Bedürfnis, sich die Hände zu waschen, aber sie suchte trotzdem weiter. Schließlich gab sie als weiteres Suchwort noch »New York« ein, was die Auswahl deutlich einschränkte. Schließlich fand sie eine Seite, auf der Fotos eines Junggesellenabends zur Schau gestellt wurden. Warum jemand so etwas ins Internet stellen musste, war ihr ein Rätsel, aber wenn es ihr dabei half, herauszufinden, ob Candice Meadows wirklich als Stripperin gearbeitet hatte, sollte es ihr recht sein.
Mit angehaltenem Atem beugte sie sich vor, als auf einem Foto eine sehr leicht bekleidete Frau einen Poledance absolvierte. Die Aufnahme war wegen der Dunkelheit unscharf und verwackelt, aber Chloe meinte, eine gewisse Ähnlichkeit mit Candice Meadows zu erkennen. Zumindest die langen blonden Haare und die schlanke Figur, das Gesicht lag im Dunkeln und war zu stark geschminkt, um es mit Gewissheit sagen zu können. Als sie den Namen Candy im Text unter dem Bild las, begann ihr Herz schneller zu klopfen. Endlich hatte sie eine Spur! Nach kurzer Suche fand sie den Namen des Nachtclubs, in dem die Feier stattgefunden hatte.
The Riverside Club
. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie den Namen wiedererkannte, und sie stand rasch auf. Ein letzter Blick auf den Bildschirm bestätigte ihr, dass das Foto vor drei Jahren entstanden war, es also durchaus im Zeitrahmen des alten Verbrechens lag. Nein, das war sicher nur ein Zufall.
Kurzentschlossen setzte sie sich wieder hin und rief die Homepage des Nachtclubs auf. Es war nicht viel darauf zu sehen, nur ein paar kleine Fotos und einige Informationen zu den Attraktionen. Chloe suchte die Adresse des Clubs heraus und merkte sich die Öffnungszeiten. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie pünktlich zur Öffnung dort eintreffen könnte, wenn sie sich jetzt zurechtmachen und losfahren würde. Am schnellsten wäre es, wenn sie die Fähre nach Brooklyn nähme und von dort aus mit dem Taxi zum Nachtclub führe. Allerdings würde sie sich dann beeilen müssen, um die letzte Fähre zurück noch zu bekommen. Chloe zuckte mit den Schultern. Zur Not könnte sie auch mit dem Taxi den weiten Umweg über die Brücke nehmen. Das würde zwar teuer werden, wäre aber immerhin besser, als über Nacht in Brooklyn zu stranden.
Rasch ging Chloe zu ihrem Schrank und suchte sich passende Kleidung heraus, mit der sie hoffentlich in der Party-Meute nicht auffallen würde, die aber auch nicht zu aufreizend war, um ihr unerwünschte Aufmerksamkeit zu verschaffen. Anschließend legte sie im Bad ein leichtes Make-up auf, steckte ihre Locken zu einem raffinierten Knoten auf und warf sich einen letzten Blick im Spiegel zu. Noch immer war sie ungewöhnlich blass, die Erlebnisse des Tages belasteten sie mehr, als sie wahrhaben wollte. Aber davon würde sie sich nicht abhalten lassen.
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