Hunter 05 - Späte Vergeltung
der Hocker. »Könnte ich einen leichten Weißwein haben?«
Wieder lächelte er sie an. »Natürlich.«
Heimlich beobachtete Chloe ihn, während er ihr den Wein eingoss. Wie sie sich eingestehen musste, sah der Barkeeper auf eine jungenhafte Weise sehr gut aus. Und wenn sie seine Blicke richtig deutete, dann hatte er gegen einen kleinen Flirt nichts einzuwenden. Chloe war beinahe versucht, darauf einzugehen, doch dummerweise schaffte sie es einfach nicht, Zach zu vergessen. Erst recht nicht, nachdem sie jetzt wusste, wie es sich anfühlte, von ihm geküsst zu werden. Von sich selbst und ihrer Schwäche genervt unterdrückte sie einen Seufzer.
»Hier, bitte.« Der Barkeeper schob das Weinglas über die Theke.
»Danke.« Chloe nahm einen Schluck und genoss den leicht herben Geschmack. »Hm, der ist gut.«
»Wir bieten hier nur exzellente Getränke an. Ich kann Ihnen auch gerne etwas mixen, wenn Sie experimentierfreudig sind.«
»Erst mal reicht mir der Wein, danke.« Sie blickte ihn über den Rand des Glases an. »Arbeiten Sie schon lange hier?«
Er schüttelte den Kopf. »Erst knapp ein Jahr. Aber ich muss sagen, das ist ein deutlich besserer Job als der, den ich davor hatte.«
Enttäuscht erkannte Chloe, dass er ihr bei der Frage, ob die Candy auf dem Foto Candice Meadows war, nicht helfen konnte, weil er zu der Zeit noch nicht hier gearbeitet hatte. Schade, es wäre sicher einfach gewesen, ihn zur Mitarbeit zu überreden. Aber sie brachte es nicht über sich, ihn einfach so stehen zu lassen. Also sprach sie ihn noch einmal auf seinen Job an. »Waren Sie davor auch Barkeeper?«
»Ja, drüben in Queens. Aber das war ein so furchtbarer Schuppen, dass ich es nur kurz dort ausgehalten habe. Ich mache das nur nebenbei während meines Studiums.« Er grinste. »Vielleicht sollte ich mich vorstellen, wenn ich Ihnen schon meine Lebensgeschichte erzähle: Ich bin Jerry.«
Sie schüttelte seine Hand. »Chloe. Was studieren Sie?«
Ein wenig verlegen hob er die Schultern. »Jura. Ich weiß, ich sehe nicht aus wie ein angehender Anwalt.«
Eingehend betrachtete sie seinen muskulösen Körperbau und die Tattoos auf seinen Unterarmen. »Vielleicht haben Sie recht. Aber wie muss man denn als Anwalt aussehen?«
»Mittleres Alter, konservative Frisur, teurer Anzug, glänzende Schuhe?«
Chloe lachte auf. »Okay, die gibt es auch. Aber es gibt auch viele, gerade jüngere, die sich nicht so leicht in eine Form pressen lassen.«
Neugierig blickte er sie an. »Kennen Sie sich damit aus?«
»Könnte man sagen, ich bin selbst Anwältin.« Sie grinste, als Röte in seine Wangen stieg.
»Tut mir leid, ich wollte nicht …«
Chloe winkte ab. »Kein Problem.« Es war ihr schon unzählige Male passiert, dass Leute überrascht reagierten, wenn sie von ihrem Beruf erfuhren. Sie sah einfach zu jung dafür aus. Vielleicht war das auch ein Grund, warum Zach …
Nein, nicht schon wieder!
Mühsam machte sie sich von dem Gedanken an ihn frei.
Interessiert beugte Jerry sich noch weiter vor. »Anklage oder Verteidigung?«
»Ich arbeite für das Büro der Pflichtverteidigung.«
»Das klingt interessant.« Intensiv starrte er sie an. »Kann es sein, dass ich Sie erst kürzlich im Fernsehen gesehen habe?« Er schnipste mit den Fingern. »Der Mordprozess gegen Curtis, oder?«
»Sie haben ein gutes Gedächtnis, das wird Ihnen beim Studium und später bei den Fällen helfen.«
Nachdenklich kratzte er sich am Kopf. »Allerdings verstehe ich jetzt noch weniger, was Sie hier überhaupt machen. In Manhattan gibt es doch viel exklusivere Clubs und vor allem ohne … ähm … Entertainment.«
Chloe überlegte, ob sie ihn anlügen sollte, aber dann entschied sie sich, ihm gegenüber ehrlich zu sein. Vielleicht konnte er ihr doch helfen. »Ich versuche, hier etwas zu recherchieren.«
Jerry zog die Augenbrauen hoch. »Etwas, das dem Club schaden kann?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Gut, ich hänge nämlich an dem Job.«
Beruhigend lächelte Chloe ihn an. »Keine Angst. Eigentlich möchte ich nur wissen, ob eine bestimmte Frau hier vor einiger Zeit gearbeitet hat.«
»Hat sie etwas Verbotenes gemacht?«
»Nein, überhaupt nicht.«
Sie ist nur tot.
»Wann war das? Vielleicht kenne ich sie.«
»Das ist eher unwahrscheinlich, es müsste schon ein paar Jahre her sein.« Trotzdem suchte sie das Foto von Candice aus ihrer Tasche und schob es über die Theke.
Jerry nahm es in die Hand und studierte es aufmerksam. Schließlich schüttelte er
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