Hurra, die Lage wird ernst
gemacht«,
lobte sie mich. »Ich wünsche nur, du könntest begreifen, warum ich mit dir
schimpfen mußte.«
Ich begriff es ja; deshalb brauchte
sie sich keine Gedanken zu machen, und um ihr das zu beweisen, sprang ich
freudig an ihr hoch und versuchte vergeblich, ihr Ohr zu erwischen. Ein starker
Hang zur Gerechtigkeit schien ein weiterer erfreulicher Charakterzug Anjas zu
sein.
Nach meiner speziellen Zeitrechnung
mußte jetzt bald Mittag sein, mein Magen bestätigte mir jedenfalls diese
Vermutung. Möglichkeiten, zu einem saftigen Knochen zu kommen, gab es in der
Nähe. So was stelle ich sozusagen im Vorbeigehen fest. Was Anja jetzt vorhatte,
wußte ich allerdings nicht. Oft gehen die Bedürfnisse von Mensch und Tier in
verschiedene Richtungen, und so war es durchaus möglich, daß sie, vom
bisherigen Erfolg ihrer Bemühungen beflügelt, zuerst noch dieses ominöse Haus
der Frau Lucas ganz genau in Augenschein nehmen wollte. Bemüht, ihren Entschluß
zu erraten, trabte ich mit gespitzten Ohren neben ihr her, als sie die Richtung
zurück zum Wagen einschlug. Damit wuchsen meine Chancen, zu einer stärkenden
Mahlzeit zu kommen.
Wir betraten auch wirklich ein
kleines Restaurant, doch Anja schien nicht die Absicht zu haben, etwas zu
essen. Sie bestellte sich nur ein Cola. Ich saß derweil unter der Bank und ging
leer aus. Ein Glück, daß es aus der Küche nach allen möglichen Leckerbissen
duftete. Zwar lief mir die ganze Zeit das Wasser im Maul zusammen, aber
vielleicht ging es Anja nach einer gewissen Zeit ebenso, und mein Magen wurde
am Ende doch noch zufriedengestellt. Besser war es auf alle Fälle, ich verlegte
meinen Standort unter ihren Stuhl. Von dort aus konnte ich besser das
Fortschreiten ihres zu erwartenden Appetits verfolgen.
Zuerst schien sie leider auf nichts
zu reagieren. Als das Cola vor ihrer Nase sprudelte, öffnete sie ihr Täschchen,
das neben ihr auf der Bank stand, und fischte unter hundert anderen Dingen das
Notizbuch heraus. Ich kapierte: Wir hatten bei dem Gärtner eine reiche Ausbeute
gemacht, und damit ihr nur ja nicht ein einziger kleiner Hinweis verlorenging,
schrieb sie sich lieber alles gleich in das verbogene Büchlein. Als sie endlich
fertiggeschrieben und das Notizbuch sorgfältig wieder verstaut hatte,
erkundigte sie sich bei mir:
»Na, wie fühlst du dich, Kollege?
Jetzt werden wir uns erst einmal stärken für die kommenden Taten,
einverstanden?«
Das sollte ein Wort sein. Der
Kellner brachte die Speisekarte. Unentschlossen ließ Anja ihren Zeigefinger von
oben nach unten gleiten, bis sie endlich im unteren Drittel auf einen ganz
bestimmten Punkt tippte.
Der Kellner nickte verstehend und
verschwand.
Könnte ein Hund am Tisch mit Messer
und Gabel seine Speisen verzehren, wären die Schwierigkeiten, die sich für ihn
in einem Eßlokal ergeben, gleich Null. Da bis heute aber noch kein Mensch auf
die glorreiche Idee gekommen ist, ihm derartiges beizubringen, muß eine solche
Mahlzeit wie eh und je heimlich vor sich gehen.
Ein Bröckchen Fleisch nach dem
anderen kullerte mir vor die Zähne, später ein ganzes Plätzchen, wahrscheinlich
als Nachspeise. Satt war ich, ehrlich gesagt, nicht geworden, aber der erste
Hunger war gestillt, und wenn mir Anja auch noch etwas zu trinken unter den
Tisch schmuggelte, war ich vorläufig zufrieden. Dann hatte sie mehr getan, als
man als einsichtiger Hund unter den gegebenen Umständen erwarten durfte.
Diesmal fuhren wir mit dem Wagen
zurück in den Frankenweg. Vor einem schönen großen Haus stieg Anja aus. Sie tat
das so forsch, als wüßte sie genau, was sie vorhatte. Ich wußte es nicht. Ein
Umstand, dem ich gerne abgeholfen hätte, wäre es mir möglich gewesen, denn wer
konnte schon im voraus ahnen, welches Spielchen sie wieder mit mir vorhatte.
Als wir vor dem Gartentor standen, sah ich durch die Gitterstäbe den Pudel auf
dem Rasen herumrennen. Als der Türöffner summte, traten wir ein. Anja mit festen
Schritt, ich etwas vorsichtiger. Und prompt, wie ich’s vorausgeahnt hatte,
wußte der blöde Hund nichts Besseres zu tun, als sich wütend auf uns zu
stürzen.
»Laß dir nichts gefallen«,
ermunterte mich Anja. Aber das ist gut gesagt, wenn der Gegner doppelt so groß
und wieselflink ist. Immerhin, ein Angsthase bin ich schließlich nicht, und
meine Dackelehre gebot mir, Anja bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.
So kämpfte ich denn, und während wir knurrend und fauchend zwischen Tulpen und
Geranien rauften, fiel mir ein,
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