Hurra wir kapitulieren!
Moslems in der ganzen Welt, von Jakarta bis London, von Islamabad bis Lagos, gegen den Abdruck der zwölf Mohammed-Karikaturen in »Jyllands-Posten« Sturm gelaufen sind?
Wieso ist keiner aufgestanden und hat den marodierenden Söhnen Allahs zugerufen: »Jungs, was ihr bei euch zu Hause macht oder nicht macht, ist eure Sache. Ihr müsst kein Schweinefleisch essen und keinen Alkohol trinken, wir sagen euch nicht, wie ihr eure Haustiere behandeln sollt, und was ihr mit euren Frauen und Töchtern anstellt, wollen wir so genau lieber nicht wissen. Aber sagt uns nicht, was wir machen oder nicht machen dürfen, wen wir zeichnen und was wir lesen dürfen. Niemand zwingt euch, Erica Jong zu lesen und die Beatles zu hören. Macht, was ihr wollt. Ihr wollt euch über Jesus und Moses lustig machen? Bitte sehr! Wir lachen mit! Und im Übrigen: Wie könnt ihr es euch leisten, wochenlang zu toben und zu rasen? Habt ihr sonst nichts zu tun? Müsst ihr nicht zwischendurch mal arbeiten? Oder euren Kindern zu Hause bei den Schulaufgaben helfen?«
Aber niemand stand auf und sagte ein paar klare, unmissverständliche Worte an die Adresse der Randalierer. Frankreichs Präsident, Jacques Chirac, vergaß einen Moment, dass er die »Grande Nation« vertritt, die unter anderem auch Voltaire hervorgebracht hat, und dekretierte, dass »alles, was den Glauben anderer, zumal den religiösen Glauben beleidigen könnte, vermieden werden muss«.
Genau 265 Jahre, nachdem Voltaires »Mahomet« in Lille uraufgeführt, und in Jahre, nachdem Oskar Panizza für seine Vatikan-Satire »Das Liebeskonzil« von einem königlich-bayerischen Gericht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde, wird der »religiöse Glaube« wieder zu einem Gut erklärt, das von staatlichen Instanzen geschützt werden muss. Und die von Natur aus und berufshalber notorisch kritischen Intellektuellen, die sich maßlos darüber aufregen, dass der amerikanische Präsident den Tag mit einem Gebet anfängt, und die »Zensur« schreien, wenn Peter Handke einen Preis nicht bekommen soll, finden es völlig in Ordnung, dass sich Christen, Juden, Hindus, Buddhisten, Konfuzianer, Zarathustraner, Baha‘i, Agnostiker und Atheisten an ein »Verbot« halten sollen, das sogar unter Moslems umstritten ist.
Die Gegenstimmen konnte man an den Fingern einer Hand abzählen. Der britische Komiker Rowan Atkinson (»Mr. Bean«) hatte schon vor dem Karikatur-Streit frech postuliert, »das Recht zu beleidigen« sei »sehr viel wichtiger als das Recht, nicht beleidigt zu werden«. Die aus Somalia stammende und in Holland lebende Islam-Kritikerin Ayaan Hirsi Ali schrieb ein Manifest, das mit den Worten begann: »I am here to defend the right to offend.« Ein anderer Moslem, der in Indien geborene, in Pakistan aufgewachsene und in den USA lebende Schriftsteller Ibn Warraq, beschämte mit seinem Appell »Entschuldigt euch nicht!« die auf Appeasement getrimmte europäische Intelligenz. »Ohne das Recht der freien Meinungsäußerung kann eine Demokratie nicht lange überleben -ohne die Freiheit zu diskutieren, unterschiedlicher Meinung zu sein, sogar zu beschimpfen und zu beleidigen. Es ist eine Freiheit, der die islamische Welt so bitter entbehrt und ohne die der ganze Islam ungefochten verharren wird in seiner dogmatischen, fanatischen, mittelalterlichen Burg; verknöchert, totalitär und intolerant.«
Und während ein Leitartikler der sozialliberalen »Frankfurter Rundschau« mühsam und gewunden erklärte, warum die Redaktion beschloss, die Karikaturen nicht zu veröffentlichen - weil man einerseits »die Pressefreiheit verteidigen und praktizieren«, sich aber andererseits »aus dem Fahrwasser eines >Journalismus< fern halten« wollte, »der mit Marketing mehr zu tun hat als mit Information und Dokumentation«, während man also bei der FR stolz darauf war, den Lesern eine Information vorzuenthalten, wagte es der Chefredakteur der jordanischen Zeitung »Shihan«, die richtigen Fragen zu stellen: »Wer beleidigt den Islam eigentlich mehr? Ein Ausländer, der den Propheten darstellt, oder ein Muslim, der mit einem Sprengstoffgürtel bewaffnet auf einer Hochzeitsfeier in Amman ein Selbstmordattentat durchführt?« Noch bevor ihm irgendjemand antworten konnte, war er schon gefeuert. Wenn es in den tollen Tagen des Karikaturenstreits etwas Tröstliches gab, dann waren es die zwar nicht vielen, dafür aber sehr artikulierten Moslems - Salman Rushdie vorneweg -, die sich zu Wort meldeten, um Freiheiten zu
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