Hurra, wir leben noch
niemals zu solchen Zeiten auftauchten. Die Polizei, unser aller Freund und Helfer, unterstützte Jakobs Unternehmungen vorbildlich. Es gab nichts Zuverlässigeres als die bestochenen Beamten in den einzelnen Präsidien, und es gab keine einzige Razzia, über die Jakob nicht unterrichtet gewesen wäre – Tage, bevor sie stattfand. Die einzige Ausnahme bildete Nürnberg. Dort saß ein Regierungsrat, seinerzeit in Berlin tätig, vor dem hatten sogar Jakobs ›Funktionäre‹ Angst. Der Mann kam aus Preußen und war die Ehrbarkeit selber. An den wagte sich niemand heran, um ihn zu bestechen. Also mußte Jakob es selber tun. Mit der Bahn fuhr er gen Norden. Nürnberg war zu groß und zu wichtig, als daß man einen Formann-Eier-Markt hätte entbehren können.
Im stinkenden Abteil eines stinkenden Eisenbahnwagens zwischen stinkende Hamsterer gepreßt, überlegte sich Jakob am Vormittag des 17. Juni 1948 all das, was wir eben aufgeschrieben haben. Das Geld floß nur so herein. Und wenn es noch ein paar Monate so hereinfließt und alles so weitergeht, dann habe ich mich sehr schnell zu Tode gesiegt, dachte Jakob, zum erstenmal im Leben Opfer einer depressiven Phase. Er hielt die Hasenpfote umklammert, auf seinen Knien lag der Diplomatenkoffer. Der wurde von Jakob besonders behütet, denn er enthielt zerbrechliche Ware – in Watte gebettet, drei Probeeier, die er aus München mitgenommen und dazu ausersehen hatte, die Schwarzhändler in Nürnberg, nach Umstimmung des gefürchteten Regierungsrats, alle begeistern zu können.
Düster war Jakobs Gemütszustand in diesem Moment, sehr düster. Normalerweise wäre ich längst Millionär, dachte er. Normalerweise! Verflucht, er schwamm in Geld – aber leider eben in wertlosem Reichsmark-Geld, das ihm zudem zwischen den Fingern zerrann, kaum daß er es eingenommen hatte.
Wenn jetzt – aber schnell! – nicht ein Wunder geschieht, dachte Jakob in dem überfüllten Abteil, trauervoll einen mageren Mann ansehend, der seiner Ansicht nach dafür verantwortlich war, daß die bestialische Luft im Abteil von Zeit zu Zeit immer noch ein bißchen bestialischer wurde, wenn das nur eine kleine Weile so weitergeht, dann kann ich zumachen mit meinen Hühnerfarmen, mit OKAY , mit der Fertighausfabrik. Denn dann bin ich pleite.
Schiere Verzweiflung bemächtigte sich des sonst so munteren Jakob. (Übrigens auch aller anderen Menschen in Deutschland, aber das war natürlich kein Trost.) Der Verzweiflung folgte Zorn. War das eine Gerechtigkeit?
Die wirklich großen Schieber wurden fetter und fetter, und ein Mann wie er, der sich halb zu Tode arbeitete (Gott ja, natürlich schob auch er – aber doch nur mit Eiern!), ein solcher Mann stand vor dem Ruin.
Erschütternd! Jakob zerfloß in Selbstmitleid. Drei Minuten lang.
Dann fühlte er, von der Hand ausgehend, welche die Hasenpfote umklammerte, die ihm schon so bekannte wohlige Wärme seinen Körper durchfluten. Der Augenblick der Depression war vorbei. Der bleiche Mann gegenüber hatte es wieder getan (verflucht und zugenäht – offenbar Erbsen!), aber Jakob sah ihn nicht, wie alle anderen im Abteil, empört, böse und strafend an. Nein, er nickte dem Furzer milde zu! Und dachte genau das, was einige Jahre zuvor Zarah Leander gesungen hatte: ›Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen!‹
In dieser Hochstimmung machte er zwei Stunden später dem Herrn Regierungsrat Bernt Schneidewind im Polizeipräsidium Nürnberg, gewinnend lächelnd, einen kleinen Vorschlag …
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»Mann!« schnarrte der Regierungsrat Bernt Schneidewind, schneidend wie sein Zuname, und schlug mit einer preußischen Faust auf einen mittelfränkischen Schreibtisch. »Mann! Von Kindesbeinen auf wurden wir erzogen zu Redlichkeit, Treue, Pflichterfüllung und Disziplin!« (Eijeijeijeijei, dachte Jakob und wäre vor Schreck über den plötzlichen Ausbruch fast von dem wackligen Stuhl gefallen, auf dem er saß.
Du
bist vielleicht erzogen worden zu all dem,
ich
nicht – jetzt verstehe ich, warum sich keiner meiner Funktionäre an dich rangetraut hat!) »Mann!« wiederholte Schneidewind ganz leise zum drittenmal, »sind Sie denn vollkommen wahnsinnig geworden, einem deutschen Beamten einen solchen Vorschlag zu machen?« Und wieder mit der Faust auf den Tisch. So haben wir’s gerne, dachte Jakob.
»Mann, Sie haben den Mut … Sie können kein Deutscher sein! Was sind Sie?«
»Österreicher.«
»Das erklärt alles! Schlappschwänze! Degeneriert! Kamerad
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