Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
ab. Das Unwetter hatte sich verzogen, und sie hatten zum ersten Mal, seit sie den Turm verlassen hatten, einen strahlend blauen Himmel über sich. Sie marschierten bis zum Sonnenuntergang, und auch dann drängte Kellie die anderen noch, weiterzugehen. Aber das Tempo war zu viel für MacAllister und Nightingale, also ließ Hutch in der Nähe eines kleinen Hains alter Bäume Halt machen, der ihnen Feuerholz und einen abgeschiedenen Ort für die Verrichtung körperlicher Bedürfnisse bieten sollte. Alles in allem hatten sie an diesem Tag achtzehn Kilometer zurückgelegt.
Eigentlich keine schlechte Leistung.
»Besonders«, sagte Nightingale, während er sich auf einen am Boden liegenden Stamm setzte, »wenn man bedenkt, dass wir auf schwerem Gelände unterwegs sind. Bald wird es ebener werden, und der Schnee sollte uns auch nicht mehr lange behindern.«
MacAllister sah sehr erschöpft aus.
»Chiang«, sagte Kellie, »lassen Sie uns etwas Holz suchen.« Sie hob einen abgebrochenen Ast auf, und wie auf ein Stichwort bebte die Erde. Nur einmal, nur ein paar Sekunden lang.
Sie entzündeten ein Feuer und rösteten das Fleisch. Es roch gut, ähnlich wie Wildbret.
»Wer probiert?«, fragte MacAllister.
Hutch nahm sich ein Stück, dachte, dass das Dasein eines Anführers wenig mit den üblichen glorreichen Vorstellungen von Führerschaft zu tun hatte, und beschloss, sich an Embrys Rat zu halten und sehr vorsichtig vorzugehen.
»Lassen Sie mich das schneiden«, sagte Nightingale. Er schnitt einen dünnen Streifen Fleisch ab, hielt ihn so, dass sie ihn im Feuerschein sehen konnte, und überraschte sie damit, seinen E-Suit abzuschalten und selbst hineinzubeißen.
Die anderen sahen ihm gespannt zu. »Danke«, sagte Hutch.
Er zuckte die Schultern, kaute gründlich, erklärte, dass es gut sei, und schluckte es hinunter. Dann schaltete er das Feld wieder ein.
Hutch fragte sich, warum er das getan hatte. Nightingale schien nicht gerade der Typ Mann zu sein, der zu galanten Gesten neigte. Eher schon dürfte sein Heldenmut mit MacAllisters Anwesenheit zusammenhängen. Vermutlich wollte er dem großen Mann zeigen, wie sehr jener geirrt hatte.
Eine halbe Stunde verging. Das Fleisch sah gar aus. Chiang setzte Kaffee auf.
Nightingale zeigte keine ungesunde Reaktion auf das Fleisch und sagte schließlich, dass es ihm egal sei, ob die anderen noch warten wollten, er jedenfalls sei bereit zu essen. Die anderen wechselten einige rasche Blicke, schalteten die Felder ab und schnitten sich ein Stück von dem Braten ab. Und das Fleisch war gut.
Die Konversation während des Essens war aufgrund der Kälte arg eingeschränkt. Essen bedeutete auf Deepsix nicht mehr und nicht weniger als Nahrungsaufnahme, und sollte sie diese Sache überleben, so würde Hutch diese schnellen, unpersönlichen Mahlzeiten nie vergessen, bei denen sich alle schweigend so dicht wie nur möglich an das Feuer kauerten und Essen und Kaffee frierend herunterschlangen.
Glückliche Tage in der Prärie.
Sie hatten kein Salz und keine Gewürze, aber das war in diesem Fall nur ein unbedeutendes Detail.
Schließlich ergriff Hutch doch während des Essens das Wort: »Marcel sagt, die Presseleute sind nur noch wenige Tage entfernt. Eigentlich sind sie gekommen, um die Kollision zu filmen, aber jetzt geht es nur noch um uns.«
»Natürlich«, kommentierte Chiang.
»Auf jeden Fall wollen sie wissen, ob sie uns interviewen können, wenn sie hier sind.«
»Das wäre faszinierend«, sagte MacAllister, der seine Mahlzeit sichtlich genoss, zwischen zwei hungrigen Bissen. »Eine Weltuntergangsparty, exklusiv übertragen von Universal News, ein reiner Tatsachenbericht, unbefangen und prinzipienlos.« Eine milde Anspielung auf das Motto von Universal: Unbefangen und unverfälscht. Er betrachtete den Himmel im Osten mit seinen fremdartigen Konstellationen. Morgans Welt war noch nicht zu sehen. »In der Tat«, sagte er versonnen. »Wenn sie es richtig anpacken, werden sie mit den besten Beiträgen des Jahres zurückkehren. Vielleicht abgesehen vom World Bowl.«
»Hutch, die Akademie hat eine Antwort auf Ihre früheren Berichte aus dem Turm geschickt. Sie gratulieren Ihnen zu Ihrer erfolgreichen Arbeit und wollen, dass Sie weitergraben. Sie haben geschrieben: Suchen Sie nach weiteren Hinweisen auf den Stand der Wissenschaft auf Deepsix. Und sie wollen, dass Sie sich auf den Turm beschränken, weil nicht genug Zeit für andere Stätten bleibt.«
»Gut«, sagte sie.
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