Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
war erst achtundzwanzig, sehr jung für eine solche Verantwortung, aber sie war auch ein Vollprofi, und er sah keinen Sinn darin, ihr noch ein weiteres Jahr an zweiter Stelle in der Kommandokette abzuverlangen. Besonders jetzt, da sich die Reise zu den Sternen immer größerer Nachfrage erfreute. Da draußen gab es eine Unmenge interstellarer Schiffe, die dringend um kommandierende Offiziere bettelten, außerdem Handelstransporter, Privatjachten, Vorstands- und Firmenschiffe. Ganz zu schweigen von der jüngsten Personalvergrößerung bei der Raumpatrouille, die auf den Verlust der Marigold und der Ranconcas zurückzuführen war, die beide im vergangenen Jahr samt ihren Mannschaften zu Schaden gekommen waren. Erstere hatte sich schlicht und einfach aufgelöst, als sie in den Hyperraum eindringen wollte; die Mannschaft hatte sich in Rettungskapseln flüchten können, hatte jedoch ihren Sauerstoffvorrat aufgebraucht, während sie auf das Eintreffen der saumseligen Patrouille wartete. Die Ranconcas hatte einen Energieausfall erlitten und war hilflos durchs All getrieben. Sämtliche Kommunikationsversuche waren fehlgeschlagen, und niemand war auf die Funkstille aufmerksam geworden, ehe es schließlich zu spät war.
Als die Menschen anfingen, die aus der Terraformung gewonnenen Welten zu besiedeln, in denen es Land in Hülle und Fülle gab, hatte die Öffentlichkeit entsprechende Sicherheitsmaßnahmen gefordert. Folglich war die Raumpatrouille in eine Phase erhöhter Expansion eingetreten. Schwer zu sagen, wofür sich eine junge Spitzenkraft wie Collier entscheiden würde.
Kellie studierte die Ausläufer eines der Gebirge von Transitoria. »Ich glaube nicht, dass es da irgendwelche Zweifel geben kann«, sagte sie. »Das ist eine Straße. Oder es war eine.«
Marcel, der neben ihr saß, überlegte, ob sie nur sah, was sie sehen wollte. »Was immer es sein mag, es ist überwuchert«, wandte er ein. »Schwer zu erkennen. Könnte auch ein altes Flussbett sein.«
»Sehen Sie sich das da an. Es verläuft hangaufwärts. Nie und nimmer war das eine Wasserstraße.« Blinzelnd fixierte sie den Monitor. »Aber ich schätze, es ist lange her, seit jemand den Weg dort benutzt hat.«
Während der fünf Tage seit der ersten Sichtung hatten sie einige weit verstreute Hinweise auf Bewohner gefunden. Sie hatten sogar Überreste von Städten auf drei Kontinenten entdeckt. Die Städte waren längst ausgestorben, begraben und zerschmettert vom ewigen Eis. Und sie schienen sich in einem vorindustriellen Entwicklungsstadium befunden zu haben. Weitere Erkenntnisse würden erst mit Hutchins Eintreffen möglich sein, die sich die Sache mit ihrem Team aus der Nähe ansehen musste. Aber schon jetzt war erkennbar, dass es keine Bauwerke gab, die die umgebende Landschaft dominiert hätten, und der Schnee war nicht tief genug, größere Beispiele technischer Konstruktionen zu verdecken. Es gab keine Brücken, keine Dämme, keine Wolkenkratzer, keine Anzeichen für größere Bauwerke jedweder Art. Nur hier und da ein Fragment im Schnee, ein Dach hier, ein Pfosten da, ein Pier dort.
Auf einer Insel, die sie Frostaria genannt hatten, gab es einen Steinkreis. Ein Handwagen stand mitten auf einem unfruchtbaren Feld in der Nähe der Bucht der Schlechten Neuigkeiten, unweit der Stelle, an der Nightingales Mission so unglücklich gescheitert war; und am Kap Chagrin in den Tempi war ein Objekt gesichtet worden, bei dem es sich um einen Pflug handeln könnte.
Aber die Straße …
Sie war annähernd dreißig Kilometer lang, und sie konnten sie von ihrem Anfang an einem Flusstal querfeldein verfolgen, vorbei an einem kleinen See bis hin zu dem Hang, den sie im Fußgebirge erklomm (Kellie hatte Recht: Das konnte keine Wasserstraße gewesen sein). Sie verschwand kurz in einem dichten Wald, ehe sie in der Nähe des Ozeans wieder zum Vorschein kam.
Die Straße führte am Fuß eines der größeren Berge entlang. Jener erhob sich beinahe siebentausend Meter über den Wald. Die Nordflanke war weggebrochen. Von dem Gipfel in den Wolken ging es geradewegs in die Tiefe bis hinab auf einen Hang mit einem sanfteren Gefälle. Als das Sonnenlicht auf die Felswand traf, fiel ihnen eine kobaltblaue Färbung auf, die dem Massiv den Namen Blauer Berg eintrug.
»Ich komme mir vor wie auf einer Besichtigungstour«, kommentierte Marcel.
Kellie zuckte mit den Schultern. »Nicht zu ändern. Ich wünschte, wir könnten runtergehen und uns das aus der Nähe betrachten.«
»Die
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