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Hutch 06 - Hexenkessel

Hutch 06 - Hexenkessel

Titel: Hutch 06 - Hexenkessel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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Tagesablauf eingekehrt. Man aß gemeinsam. Die Vormittage verbrachte zumeist jeder für sich. Rudy las, überwiegend Science World und das International Physics Journal. Gelegentlich wechselte er auch zu einem Archie-Goldblatt-Thriller. Goldblatt war ein Archäologe, der verlorene Zivilisationen aufspürte, uralte Codes entschlüsselte und historische Betrügereien aufdeckte. Einfachste Lektüre, nichts, worauf Rudy sich üblicherweise eingelassen hätte, aber dies waren besondere Umstände.
    Die Nachmittage verbrachten Hutch, Antonio und er gemeinsam. Antonio stellte ein Rollenspiel vor, genannt Eilmeldung, in dem die Teilnehmer erraten sollten, wo sich die nächste große Story ereignen würde, und die Berichterstattung mit Hilfe eines begrenzten Stabes an Nachrichtenleuten arrangieren mussten. Rudy hatte Spaß daran, vielleicht, weil er gut darin war. An den Abenden nutzten sie die VR, sahen sich Shows an, die sie abwechselnd auswählten. Manchmal übernahmen sie selbst die eine oder andere Rolle, manchmal überließen sie die Schauspielerei den Profis. Sie sahen sich Krimis an, Komödien, Thriller. Nichts Schweres. Der mitreißendste Beitrag war das Musical Reine Seele. Hutch spielte hier eine Kasinoeigentümerin mit einem Herz aus Gold auf Serenity, die von Rudy in der Rolle des linkischen Gangsters Fast Louie bedroht wurde. Antonio wiederum schlüpfte in die Rolle eines ihrer ehemaligen Geliebten, der ihr immer noch nachlief, nie aufgegeben hatte und am Ende ihr Leben und ihre Ehre rettete.
    Aber vielleicht nahm die Spitzenposition in der Beliebtheitsskala auch Schlachtruf ein, ein Epos über den Bürgerkrieg in Amerika, in dem Antonio Lincoln mit italienischem Akzent zum Besten gab. Rudy spielte Stonewall Jackson, und Hutch hatte einen kurzen Auftritt als Annie Etheridge, dem in vorderster Front stehenden Engel des dritten Michigan-Regiments.
    Schlachtruf dauerte zwölf Stunden und lief drei Abende lang, in denen Kanonen donnerten, Kavallerie stürmte und der Schlachtruf der Konföderierten durch die Preston hallte. Es gab Zeiten, da glaubte Rudy, er könne das Schießpulver riechen. Oft sahen Hutch, Antonio und er von einem von Felsen umgebenen, geschützten Punkt zu, wie das Geschehen um sie herum tobte.
    Gelegentlich blickte Rudy hinaus in die Schwärze. Das war kein richtiger Himmel. Da gab es kein Gefühl der Tiefe, keine Ahnung, die andeutete, man könne ihn bereisen, um irgendwann irgendwo anzukommen. Es war, als gäbe es gar keinen Raum dort draußen. Als Hutch auf seine Bitte hin die Navigationsleuchten einschaltete, drang das Licht nicht so weit vor, wie es hätte vordringen sollen. Diese Finsternis schien mehr zu sein als bloße Abwesenheit von Licht. Sie schien aus sich heraus greifbar zu sein. »Wenn Sie wollten«, fragte er Hutch, »könnten Sie dann rausgehen?«
    »Sicher«, sagte sie. »Warum fragen Sie?«
    »Sehen Sie es sich doch an! Die Nacht drängt sich ja regelrecht gegen die Sichtluken!«
    Sie runzelte die Stirn. Nickte. »Ich weiß. Das ist eine Illusion.«
    »Wie können Sie das wissen?«
    »Es muss eine sein.«
    »Das gehört nicht zu den Dingen, die wir bei den Testflügen untersucht haben. Wir haben einfach angenommen …«
    »Ich bezweifle«, mischte sich Antonio ein, »dass das zu den Dingen gehört, über die Jon sich den Kopf zerbrochen hat.«
    »Das hat er vermutlich nicht«, meinte Hutch. »Aber wenn ich ehrlich bin: Ich weiß es einfach nicht. Vielleicht würde man da draußen mir nichts, dir nichts verschwinden, genau in dem Augenblick, in dem man versucht, hinauszugehen.«
    »Pazzo«, sagte Antonio.
    »Vielleicht«, entgegnete sie. »Aber ist das so anders als Partikel, die an zwei Orten gleichzeitig sind? Oder eine Katze, die weder tot noch lebendig ist?«
    »Auch wieder wahr«, sagte Rudy und runzelte die Stirn.
    »Was ist los?«, fragte sie.
    »Ich dachte nur gerade, dass ich hier außerordentlich ungern festsitzen würde.«
     
    Als sich die dritte Woche dem Ende zuneigte, gewöhnte Rudy sich langsam an den Alltagsablauf. Vielleicht lag es auch nur daran, dass endlich ein Ende des ersten Reiseabschnitts in Sicht kam. Es war sozusagen Tageslicht vorauszuerkennen. Makai 4417. Heimat einer Rasse, die vor mindestens fünfzigtausend Jahren den Chindi ausgesandt hatte. Welche Art von Zivilisation mochte dort heute sein?
    Der Gedanke bereitete Rudy eine Gänsehaut.
    Seine Einstellung gegenüber Antonio wurde milder, und allmählich gelang es ihm, ihn wieder mit seinem Bild von

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