Hutch 06 - Hexenkessel
ausgebrochen, als sie ihren Platz auf dessen Brücke eingenommen und die KI begrüßt hatte, um anschließend ihre Checkliste durchzugehen. Das war einer der emotionalsten Augenblicke ihres Lebens gewesen. Eine Weile war Hutch der Überzeugung gewesen, ein solches Eingeständnis könne man nicht anders als traurig nennen. Aber das war Jahre her. Inzwischen war sie klüger. Sie liebte die überlichtschnellen Schiffe und die endlosen Tiefen des Raums zwischen den Sternen, und dort nicht mehr sein zu können, darüber würde sie schlicht und einfach nie hinwegkommen.
Tor war auch dann noch an Bord geblieben, als Hutchs Passagiere einer nach dem anderen an Bord gekommen waren. Sie hatten sich einander vorgestellt, und er war erst von Bord gegangen, als die Zeit für den Start gekommen war. Hutch erinnerte sich immer noch daran, wie er durch die Luke hinausgegangen war und Augenblicke später an einer der Sichtluken der Station aufgetaucht war. Er hatte gewinkt, und sie hatte zurückgewinkt, als die Preston zum Leben erwacht war. Der Countdown fiel auf null, und Hutch hatte den Steuerknüppel sacht nach vorn bewegt. Sie hatte das Schiff selbst hinausgesteuert, statt diese Aufgabe der KI zu überlassen. Sie hatte viel zu lange gewartet, um diesen Moment nicht in vollen Zügen auszukosten. Dennoch hatte sie auch Tor beobachtet: Die rechte Hand zum Abschiedsgruß gehoben, war er im Sichtfenster der Preston immer kleiner geworden, bis er schließlich nicht mehr zu sehen gewesen war. Außerhalb des Hangars hatte Hutch das Schiff beschleunigt, hatte den Hauptmaschinen Saures gegeben, und immer noch hatte sie nach Tor Ausschau gehalten. Nicht einmal ein Jahr später hatte sie bereits wieder den ganzen Tag in einem Büro der Akademie gearbeitet.
Sie bedauerte nichts.
Nun, eigentlich bedauerte sie nichts. Wäre sie im All geblieben, hätte ihre Ehe das gewiss nicht überstanden. Sie hätte all diese gemeinsamen Jahre mit ihrem Mann verpasst Maureen und Charlie würden nicht existieren. Und sie selbst wäre mit der Akademie untergegangen wie so viele andere auch.
Aber nun war Tor tot. Und noch etwas anderes fehlte ihr im Leben.
Sie wäre gern noch einmal mit der Preston hinausgeflogen.
Als sie ein Teenager gewesen war, hatte ihr Vater ihr beigebracht, wie wichtig es sei, Prioritäten zu setzen. »Ich hätte eine anständige berufliche Laufbahn damit zubringen können, Sternwolken zu katalogisieren und Spekulationen über die physikalischen Eigenschaften von Schwarzen Löchern anzustellen«, hatte er einmal zu ihr gesagt. Und er hatte Recht: Das hätte ihm eine Menge Prestige, Anerkennung und Geld eingebracht.
Stattdessen hatte er seine Zeit damit verbracht, im Drake Center auf das erste intelligente Gemurmel aus dem All zu warten. Während seine Kollegen ihn immer weniger ernst genommen hatten. Sogar, nachdem es tatsächlich geschehen war, nachdem das historische Signal aufgefangen und die erste Verbindung zu einer fortgeschrittenen Zivilisation hergestellt worden war, war er abgeschrieben gewesen, wie ein unbeteiligter Beobachter eines Ereignisses, das ausschließlich auf purem Glück beruhte.
Jeder, so schien die Fachwelt zu glauben, hätte das tun können. Alles, was es dazu brauche, sei schließlich nur ein bisschen Beharrlichkeit.
Hutchs Vater aber hatte seiner Tochter erzählt, dass tatsächlich neben diesem ersten Kontakt alles andere verblasst sei. Wen interessierte am Ende schon noch wirklich, welche Temperatur im Inneren des Korialusnebels herrschte?
Wie Tor war auch Hutchs Vater ihr viel zu früh genommen worden. Ihr Dad war in jungen Jahren an einem Herzleiden gestorben, von dessen Existenz niemand gewusst hatte, auch dies eine verstörende Übereinstimmung. Aber er hatte lange genug gelebt, um zu wissen, dass sein Leben Bedeutung erlangt hatte. So wie das von Tor.
Hutch kam in den Sinn, dass man, sollte der Locarno-Antrieb funktionieren und eine entsprechende Reichweite ermöglichen, jemanden nach Sigma 2711 schicken könnte. Dass man vielleicht herausfinden könnte, wer vor so langer Zeit dieses Signal geschickt hatte. Damals, an ihren Dad.
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DIE KEHRSEITE DER INTERSTELLAREN RAUMFAHRT
Seit es uns vor ein paar Jahren gelungen ist, die herannahende Omegawolke zu zerstören, hat sich ein allgemeines Wohlbehagen auf der Welt ausgebreitet. Infolge dieses glücklichen Ereignisses hatten wir Gelegenheit, darüber nachzudenken, welcher technologische Standard dieses Objekt hervorgebracht haben mochte, und
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