Hyänen
Mund, er würde später essen. Er holte eine Platzdecke, überprüfte noch einmal alles und merkte, dass sie auch etwas zu trinken brauchte. Also holte er noch eine Flasche Corona aus der Küche. Dann zog er die Skimaske über und ging ins Schlafzimmer.
Sie lag gefesselt und geknebelt auf dem Bett. Sah ihn vorwurfsvoll an. Sie hatte versprochen, dass sie ruhig bleiben und keine Dummheiten machen würde, wenn das Essen gebracht wurde, aber
Tuht mir leit, siecher iss siecher
hatte er geschrieben und ihr die Hände gefesselt. Sie hatte ihn dabei wüst beschimpft, und auch jetzt, als er ihr den Knebel herausnahm, war ihr erstes Wort: «Arschloch!»
Ihre Laune besserte sich schnell, als sie mit dem chinesischen Essen vorm Fernseher saß. Shrimps süß-sauer, Rindfleisch mit Broccoli, Hühnchen mit Ananas, gebratene Wontons und gedämpfter Reis.
«Ich habe noch nie so gut chinesisch gegessen», sagte sie.
Er nickte.
«Wie heißt das Restaurant?»
Er gab keine Antwort.
«Willst du mir den Namen nicht sagen?»
Er schüttelte den Kopf.
«Oh, verstehe. Du meinst, es könnte ein Hinweis sein. Wo wir hier sind.»
Sie sah die Fältchen um seine Augen. Das hieß, dass er lächelte.
«Würdest wohl gern mal wieder ’ne Nummer schieben, oder?» Sie nahm einen Schluck Bier und sagte: «Haben dir meine Flügel gefallen?»
Heute hatte er ihr erlaubt zu duschen. Er war im Badezimmer geblieben, hatte ihr den Rücken zugedreht. Er traute ihr nicht wegen des Milchglasfensters. Sie konnte zwar nicht hindurchklettern, aber sie könnte es öffnen und um Hilfe rufen. Nach dem Duschen hatte sie ihn um ein Handtuch gebeten, und als er es ihr gab, hatte er sie gesehen. Ihre Flügel. Zwei Tattoos auf den Schulterblättern.
Er nickte.
«Mein Dad hasst sie. Er findet Tattoos billig.»
Eigentlich fand er das auch, aber ihre Flügel hatten ihm gefallen. Warum wohl ausgerechnet Flügel, hatte er sich gefragt. Er dachte an den Moment, in dem sie das Wasser abgestellt und die Tür der Duschkabine geöffnet hatte. Sie hatte gewollt, dass er etwas zu sehen bekam. Sie wusste genau, dass sie ihn verrückt machte. Frauen merken so was.
«Was soll das Ganze eigentlich? Was wollen die von meinem Dad?»
Er schrieb auf den Spiralblock und hielt ihn ihr hin.
waiss nich. ährlich.
«Du lügst mich nicht an, oder? Ich seh’s an deinen Augen.»
Sie legte die Gabel hin und sah ihn an. Kaute auf dem Chinaessen herum.
«Du hast wirklich schöne Augen. Hat dir das schon mal einer gesagt?»
Klar. Seine Mutter. Die ganze Zeit.
DeWitt hat so schöne Augen.
Er wusste, dass sie nicht nein sagen würde, aber unter diesen Umständen wäre es auch dann eine Vergewaltigung, wenn sie so tat, als ob sie einverstanden wäre; so was kam für ihn nicht in Frage.
«Was wohl in meinem Glückskeks steht?»
Das Zellophan knirschte, als sie den Keks auswickelte, und ihm fuhr ein eisiger Gedanke durch den Kopf: Was, wenn sein Handy nun klingeln und Smith-Jones ihm sagen würde, dass die Sache vorbei ist und er Dee schleunigst loswerden sollte; am besten mit ihr in den Wald fahren und –?
«Tu es jetzt!»
, las Dee. «
Heute ist morgen schon gestern!
Puh. Da ist was Wahres dran, oder? Die Zeit vergeht so schnell. Stell dir vor, in fünf Jahren bin ich dreißig. Dreißig!»
Sie gab ihm den anderen Glückskeks.
«Was steht denn in deinem?»
Er packte ihn aus, zerbrach den Keks, nahm den Zettel heraus und las.
«Was steht drauf?»
Er gab ihn ihr.
«
Schließen Sie jetzt neue Freundschaften.
Das ist ja nett! So, dann müssen wir die Kekse nur noch essen, damit die Prophezeiung auch eintritt.»
Sie warf sich ihren Keks in den Mund. Er drehte sich zur Seite, schob die Maske nach oben, steckte sich den Keks in den Mund und zog die Maske wieder nach unten.
Sie sahen sich an. Aßen knirschend die Kekse.
«Wie siehst du unter der Maske eigentlich aus?»
Er nahm den Spiralblock und schrieb:
hässlich.
Sie lachte. «Ja, klar.»
Sie fuhren in Normans großem roten Chrysler die Tejada Springs Road hinunter. Das Dach zurückgeklappt. Hinten saßen Luke und der Hund, der in den Fahrtwind grinste.
Sie hielten am Tejada Springs Café. Die Kellnerin hatte nichts dagegen, dass sie den Hund mit hineinbrachten. Sie setzten sich in die Ecke und tranken Schokoladenshakes. Hinter dem Tresen war ein großartiges Wandgemälde, schlaue Füchse in verrückter Kleidung, die den Menschen Streiche spielten: einen Apfelkuchen vom Fensterbrett stibitzten, beim Kartenspiel
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