Hyänen

setzen.»
    «Du musst endlich reden», sagte Groh.
    «Ich bin Diabetiker. Mein Blutzucker spielt verrückt. Ich brauche Insulin.»
    «Hör auf, Zeit zu schinden», sagte ter Horst.
    «Ich schinde keine Zeit.»
    Er schloss die Augen und rieb sich die eine Wange.
    «Wo ist das Insulin?», fragte Groh.
    «In der Küche. Im Kühlschrank.»
    «Im Kühlschrank?»
    «Ich muss es kühl aufbewahren.»
    «Zuerst er reden», sagte Bulgakov. «Dann scheiß Insulin.»
    Norman schwankte ein wenig, als würde er gleich ohnmächtig.
    «Wenn ich ins Koma falle, hat keiner was davon. Es dauert doch nur zwanzig Sekunden, in Gottes Namen. Bitte.»
    «Okay», sagte Groh.
    Sie gingen in die Küche.
    «Wussten Sie, dass Jesus Christus wieder auf die Erde zurückkehrt?», sagte ter Horst.
    «Nein», sagte Norman, «das ist Blödsinn.»
    «An den Blödsinn werden Sie noch denken, wenn Sie in der Hölle jammern, bis Sie den Verstand verlieren.»
    Sie betraten die Küche. Als Norman einen Stuhl unter dem Bauerntisch hervorzog und sich schwer darauf niedersinken ließ, musste er das Zittern nicht mehr vortäuschen. Er war ganz benommen von der Tragweite der Dinge, die jetzt geschehen würden.
    Unter dem Tisch war eine Pistole, eine halbautomatische Walther P 5 . Sie steckte in einem Halfter, das er an der Unterseite der Tischplatte befestigt hatte. Eine Patrone war bereits in der Kammer. Das hieß, er musste sie nur aus dem Halfter ziehen, zielen und abdrücken. Wenn er das dreimal schnell und präzise schaffte, hatte er eine Überlebenschance.
    «Kann mir bitte jemand das Insulin holen?»
    Groh nickte Bulgakov zu.
    Norman beugte sich vor, die Unterarme auf dem Tisch. Er versuchte, den Moment abzupassen, an dem sie am wenigsten auf ihn achteten. Groh stand auf der anderen Seite des Tischs. Bulgakov ging zum Liebherr-Kühlschrank aus rostfreiem Stahl. Ter Horst war zum Küchentresen geschlendert und zog eine Schublade auf.
    «Wo sind sie, Norman?»
    «Als ich zum letzten Mal von ihnen gehört habe, waren sie in Nevada.» Es fiel ihm schwer, die Worte herauszubringen. Es kam ihm vor, als würde er lauter trockene Holzstücke ausspucken.
    «Wo genau in Nevada?»
    Bulgakov öffnete den Kühlschrank und schaute hinein.
    «Elko», sagte Norman. In ihm wuchs die Erkenntnis, dass er nicht so einsam und verlassen sterben wollte, wie er die letzte Zeit gelebt hatte. Er wollte leben, leben, leben und noch mal leben.
    «Warum in Elko?», fragte ter Horst. Er hatte ein Whiskeyglas aus dem Schrank genommen und ging zur Spüle.
    «Gray hat dort Freunde.»
    «Ich seh kein scheiß Insulin», sagte Bulgakov. Beugte sich vor und wühlte im Kühlschrank herum.
    «In der Tür», sagte Norman. «Im Butterfach.»
    Norman hustete und hielt sich die Hand vor den Mund, dann ließ er sie in den Schoß sinken. Ter Horst füllte das Glas mit Wasser. Bulgakov hob die Klappe des Butterfachs an. Groh sah zu Bulgakov hinüber.
    «Verflucht noch mal, hier ist –», sagte Bulgakov, und in dem Moment zog Norman die Waffe, zielte und schoss über den Tisch auf Groh; Groh fiel hin und war außer Sicht. Norman wirbelte herum und schoss zweimal in Richtung Kühlschrank. Die Kugeln trafen nur in die Tür, Bulgakov war dahinter in Deckung gegangen. Norman spürte einen Schmerz im Bein und begriff, dass Groh unter dem Tisch auf ihn schoss. Dann kam es ihm vor, als ob ein riesiger Baseballspieler seinen gewaltigen Schläger auf ihn niedersausen ließ und ihn von seinem Stuhl hinunterfegte. Er sah, wie die Kacheln des Fußbodens auf ihn zukamen. Sein ganzes Leben lang war ihm die Zeit viel zu schnell vergangen, aber jetzt schien sie beinahe stehenzubleiben. Die Kacheln schwebten heran. So langsam. Er erinnerte sich an den Morgen, als er und seine Frau in der Fliesenhandlung in der Fourth Street von Santa Monica gewesen waren und diese speziellen Kacheln ausgesucht hatten. Dann glitten die Kacheln zur Seite und schwebten an ihm vorbei. Er war nicht mehr in seiner Küche, Korridore mündeten in Korridore und wieder in Korridore, und dann – vielleicht war es das letzte Aufflackern seiner sterbenden Hirnzellen, vielleicht war es aber auch real – sah Norman Mr. Jones, seine große dicke gelbe Katze, die auf ihn wartete, und dann seine Frau. Im nächsten Moment wurde Norman Hopkins vom Grenzenlosen aufgesogen.
     
    Sie fuhren in Normans Auto nach Osten, auf einer wenig befahrenen Landstraße durch das graubraune kahle Ödland. Eine verschlungene Landschaft aus Lehmhügeln,