Hyänen
brauchte mehrere Minuten, um einen Menschen zu ersticken. Es war zu kalt im Zimmer, er hatte sich deshalb schon mehrfach bei den Krankenschwestern beschwert, aber sie ignorierten ihn wie üblich, und jetzt spürte er die kühle Luft an seinem Rücken und am Hintern. Wegen seines Herzinfarkts fühlte er sich schwach, seine Arme wurden müde, aber es half nichts, er musste sich noch eine Weile über das Bett beugen und zudrücken. Was für eine blöde Art, einen Menschen zu töten.
Sie wollte schlafen, aber die Toten von Brady hielten sie wach. Bilder stürmten auf sie ein, Bilder von Auftragsmördern, die in alle Teile des Landes reisten. Sie zeigten aufmerksamen Fremden Fotos von ihr und Luke. Sie musste nur einen winzigen Fehler machen, und sie würden sie finden, in Zimmer 21 des Sea Breeze Motels. In ihrer Phantasie huschten sie wie Ninjas über den Parkplatz. Die Pistole lag unter ihrem Kopfkissen, aber was konnte sie schon tun? Ein Fenster einschlagen und sich wie eine unbesiegbare Hollywood-Heldin in Luft auflösen? Sie war nur ein einfaches Mädchen. Eine Kellnerin von Long Island, die sich in den falschen Gast verliebt hatte. Bei dem fetten Kerl hatte sie Glück gehabt, aber es gab keinen Grund anzunehmen, dass das auch so bleiben würde.
Ein Flugzeug startete zu einem Nachtflug, dann erstarb der Lärm in der Ferne.
Sie stand auf, ging ins Badezimmer und nahm einen Schluck Wasser. Ohne Licht zu machen, um Luke nicht zu stören. Sie schlenderte zum Fenster. Zog die Vorhänge zur Seite und sah hinaus.
Der Anblick war so absurd, dass sie sich fragte, ob sie vielleicht doch schon eingeschlafen war. Vielleicht träumte sie nur, einen nackten Mann reglos mit dem Gesicht nach unten auf dem Parkplatz liegen zu sehen.
Sein Gesicht war nicht zu erkennen, aber sie wusste, dass es Gray war. Sie zog sich schnell etwas über und ging leise aus der Tür. Als sie näher kam, sah sie, dass sein Körper die Spuren grausamer Gewalt trug. Sein Rücken war von leuchtenden Narben übersät, in seine linke Pobacke war vor längerer Zeit ein Loch gerissen worden, so groß wie ein Golfball, und auch seine Beine waren von kleineren Löchern übersät. Arme und Beine waren zu einem X ausgebreitet, und sein Gesicht war seitlich in den Asphalt gedrückt. Seine Augen waren geschlossen; er schien bewusstlos zu sein. Sie kniete sich neben ihn und fragte: «Gray?»
Er gab einen Laut von sich. Dann noch mal und immer wieder. Sie merkte, dass er ganz leise ein Wort flüsterte: «Nicht. Nicht. Aufhören.»
«Gray? Ich bin’s, Gina. Wie geht es dir? Gray!»
Als sie seine Schulter berührte, hörte er auf zu flüstern und machte die Augen auf.
«Was ist passiert? Bist du verletzt?»
Er gab keine Antwort. Seine Augen bewegten sich, sahen sie aber nicht an.
«Komm schon, steh auf. Es ist kalt hier draußen.»
Sie zog ihn am Arm, langsam richtete er sich auf und ließ sich von ihr zu seinem Zimmer führen. Sie fragte sich, ob er betrunken war oder Drogen genommen hatte. Eigentlich wirkte er nicht wie ein Trinker oder Junkie. Die Tür zu seinem Zimmer stand weit offen. Sie schaltete das Licht ein und führte ihn zu seinem zerwühlten Bett.
«So, jetzt leg dich hin.»
Er tat das wie ein gehorsamer Zombie. Als sie ihn zudeckte, sah sie weitere Narben auf der Vorderseite seines Körpers.
«Mom?»
In der Tür stand Luke.
«Was ist mit Gray passiert?»
«Gar nichts. Geh wieder ins Bett.»
Er rührte sich nicht.
«Hörst du nicht, Luke? Ins Bett! Und mach die Tür zu.»
Widerstrebend ging Luke zurück in ihr Zimmer. Als sie wieder zu Gray hinabschaute, sah er ihr in die Augen.
«Was kann ich für dich tun? Möchtest du Wasser?»
Er schüttelte den Kopf.
«Alles so weit in Ordnung?»
«Ja.» Dann schloss er die Augen und drehte sich zur Seite. Sie blieb noch ein oder zwei Minuten, bis sie sicher war, dass er sich nicht in einem katatonischen Schockzustand befand, sondern ganz einfach eingeschlafen war. Sie löschte das Licht.
Luke saß auf seinem Bett, er hatte auf sie gewartet.
«Stell mir bitte keine Fragen, ja?», sagte sie. «Ich kann sie nämlich nicht beantworten.»
«Ist er krank?»
«Keine Ahnung; ich glaube nicht.»
Sie setzte sich auf ihr eigenes Bett und sah ihn an.
«Ich weiß, dass du ihn magst. Ich mag ihn auch. Aber ich kenne ihn kaum. Mir fehlt die Kraft, mir auch noch um ihn Sorgen zu machen. Die brauche ich schon für dich und mich.»
«Warum muss uns immer so was passieren? Warum sind wir nicht
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