Hyänen
Mac. Es soll wehtun.»
«Genau. Ich will ihn schreien hören.»
Lingos Augen wanderten zu den Weltuntergangsszenen im Fernsehen. Feuersbrunst und Zusammenbruch. Panische Flucht.
«Wir fackeln ihn ab. Genau so machen wir’s.»
«Mr. Cicala wird nicht erfreut sein», sagte Mr. Li. Auch er war nicht erfreut.
«Es ist nicht meine Art, mit Ausreden zu kommen, Mr. Li», sagte Markus Groh.
«Ich weiß.»
«Es liegt an ter Horst und an seinen Freunden. Dima wäre heute beinah getötet worden. Sie hindern uns daran, unseren Auftrag erfolgreich zu Ende zu bringen.»
«Sie haben keine Ahnung, wohin sie verschwunden sind?»
«Keine. Dima durchsucht noch ihre Computer, aber bis jetzt hat er nichts Brauchbares gefunden.»
«Und dieser Mann. Wer könnte das sein?»
«Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall ist er Profi. Durch ihn wird der Auftrag komplizierter, aber, wie gesagt, das Problem ist ter Horst. Er ist physisch krank und psychisch instabil. Seine Partner sind schwachsinnig. Er besteht darauf, an dem Auftrag beteiligt zu sein, aber wir brauchen ihn nicht.»
Mr. Lis rundes, ausdrucksloses Gesicht wirkte bleich im Licht des Apple-Computers. Er schloss die Augen. Fuhr langsam mit der Fingerspitze den Bogen einer Augenbraue entlang.
«Mr. Li?»
«Ja, ich bin noch dran. Was schlagen Sie vor?»
«Wir sollten das Problem beseitigen. Das kann in den nächsten fünf Minuten erledigt werden.»
«Es tut mir leid, aber wir wollen nicht in ein Hornissennest hineinstechen.»
«Es würde mit der größten Umsicht geschehen.»
«Davon bin ich überzeugt. Die Antwort lautet trotzdem Nein.»
«Ich verstehe. Wir bleiben in Verbindung.»
«Vielen Dank.»
Er legte das Telefon beiseite.
Eine Tasse mit dampfendem Kräutertee stand auf seinem Tisch. Er griff nach ihr und nippte daran.
Er würde Kopfschmerzen bekommen, das spürte er. Seine Kopfschmerzen waren rasend und immun gegenüber Medikamenten. Er wusste, er würde wahrscheinlich die ganze Nacht über wach liegen. Und die
Invictus
fuhr den dunklen Fluss hinauf und hinab.
Das Schiff war nach einem Gedicht von W. E. Henley benannt. Es begann so:
Ich liege hier in tiefer Nacht,
Die ihre schwarzen Gräuel zeugt,
Und danke es der Gottheit Macht,
dass meine Seele ungebeugt.
Mr. Li liebte die englische Literatur. Als junger Mann war er eigens nach England gegangen, um sich in Cambridge eingehend damit zu beschäftigen. Vielleicht war diese Liebe darauf zurückzuführen, dass ein Tropfen englisches Blut in seinen Adern floss. Sein Urgroßvater war Engländer gewesen, Ronald Aldersey, Lehrer an einer britischen Schule der internationalen Siedlung von Shanghai, groß, dünn, vergeistigt, lebenslustig, romantisch und tuberkulös. Eines Nachts unternahm er in seinem weißen Seidenanzug einen kleinen Spaziergang auf der Foochow Road. Er betrat ein zweitklassiges Teehaus, das Garten der Höchsten Glückseligkeit hieß. Dort sah er die Sängerin Mei Ling zum ersten Mal.
Sie war vierzehn, nicht einmal halb so alt wie Aldersey, und kam aus einem kleinen Dorf. Ihre Eltern hatten sie an einen Mann verkauft, der sie an das Teehaus weiterverkauft hatte. Mädchen waren in China nicht viel wert. Ein Sprichwort sagte: «Ein hinkender Sohn ist besser als acht engelsgleiche Töchter.»
Aldersey wollte mit ihr in eins der oberen Zimmer gehen und verhandelte mit einer widerlichen alten Frau um den Preis. Sie sagte, das würde nicht billig werden, denn Mei Ling sei die frischeste Blume im Garten der Höchsten Glückseligkeit. Er glaubte keine Sekunde, dass sie noch Jungfrau war, aber weil er noch nie ein solches Ausmaß physischer Schönheit mit Augen gesehen hatte, feilschte er nicht lange.
Als er fertig war, sah Aldersey Blut auf den Laken. Er zog sie an sich, streichelte und küsste ihr Haar und bat um Vergebung dafür, dass er ihr die Unschuld genommen hatte. Tatsächlich konnte Mei Ling längst nicht mehr zählen, wie häufig sie ihre Unschuld bereits verloren hatte. Ein Fläschchen Hühnerblut half ihr dabei, das sie unter dem Kissen aufbewahrte.
Er besuchte sie so häufig wie möglich. Als sie schwanger wurde, war er überzeugt, das Kind sei von ihm. Sie wollte es wegmachen lassen, aber das erlaubte er nicht, weil er Mei Ling liebte und wollte, dass sie sein Kind austrug. Und sie liebte Aldersey, weil er freundlich zu ihr war. Bisher war sie nur selten freundlich behandelt worden, genau genommen noch nie.
Unlösbare Probleme kamen auf ihn zu. Er verlor an Gewicht und
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