Hybrid
geht, wenn sich die Geräusche von draußen in den eigenen Schlaf weben, bis einem klar wird, dass man es tatsächlich schon eine Weile lang unbewusst gehört hat.
Ich lag einen Moment mit offenen Augen im Bett und lauschte den Nachtgeräuschen des Regenwalds, die durch die geöffneten Fenster hereinkommen. Es ist wie ein dichtes Rauschen, durchsetzt von einem vielfältigen Zirpen und Flirren unzähliger Insekten, unterbrochen durch einzelne Schreie von Nachtvögeln. Ab und zu hört man die leisen bellenden Geräusche der Geckos, die sich an der Zimmerdecke und überall an den Außenwänden unserer Hütten tummeln. Durch den wilden Klangteppich wehte wie aus einiger Entfernung eine menschliche Stimme, die einen seltsamen atonalen Sprechgesang hervorbrachte.
Es klingt mutiger, als ich war, aber ich wollte unbedingt herausfinden, was da vor sich ging. Also habe ich mich unter dem Moskitonetz hervorgearbeitet, mich angezogen und bin nach draußen gegangen.
Es war gegen halb vier. Das Camp schien ausgestorben, und bis auf ein paar Lichtflecken vereinzelter Glühbirnen lag alles andere in vollkommener Dunkelheit. Ich folgte dem Klang des Gesangs und entdeckte, dass der Stuhl, auf dem nachts Jaime saß, um Wache zu halten, leer war. Auch wenn der junge Indio keinen wahrhaftigen Schutz vor irgendetwas bieten konnte, war er doch eifrig, uns helfen zu dürfen, und stets pflichtbewusst, und es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass jemand die ganze Nacht über da saß und im Notfall alle anderen wecken konnte.
Ich ging über die inzwischen auseinanderbrechenden Zementplatten, die den zentralen Weg durch das Camp bildeten, und erreichte die Lager.
Schon von Weitem sah ich, dass die Tür zum Lagerhaus geöffnet war. Ich fragte mich, ob der Letzte, der die Leiche befeuchtet hatte, vergessen hatte, das Lager wieder ordentlich zu schließen. Oder ob jemand eingebrochen war. Jemand, der vielleicht nicht wusste, dass es in dem Raum nichts zu stehlen gab.
Als ich mich dem Lager näherte, sah ich, dass der Boden aus festgetretener Erde dunkle Flecken aufwies, die in einer Spur am Generatorhäuschen vorbei in Richtung des Waldrands führten. Ich presste meinen Ärmel vor die Nase und wagte einen Blick durch die Tür. Ich erkannte die dunkle Form des Tischs und die hellen Tücher, die auf dem Boden lagen.
Der Leichnam war verschwunden.
Büro der MediCapital Invest, Zürich, 22. Juli
Luc Gironde studierte den Bericht, der ihn als E-Mail erreicht hatte. Er atmete tief ein und strich sich über seinen Kinnbart. Früher oder später hatte so etwas passieren müssen. Er schalt sich einen Narren, sich nicht schon früher darum gekümmert zu haben. Es war ein Faktum, dass man sich um die wichtigen Dinge selbst bemühen musste. Wenn man nicht vor Ort war und sich auf andere Leute verließ, dann war es nur eine Frage der Zeit, bis etwas schieflief. Und wie oft in der Nachbetrachtung stellte man fest, dass der Aufwand, den man zur Kontrolle aufwendete, und der dennoch folgende Ärger die vermeintliche Zeitersparnis zunichtemachten. Und noch dazu war es ein denkbar ungeeigneter Zeitpunkt.
Erneut las er die Mail aus Hamburg. Es war im Grunde klar, dass etwas geschehen musste. Und dass Villiers informiert werden musste. Der Mann war kein Freund von Störungen und von schlechten Nachrichten noch viel weniger. Aber es war schlimm genug, wie es war. Nun durfte er sich nicht auch noch ohne dessen Zustimmung einmischen.
Luc griff zum Telefon und wählte.
Als er Villiers endlich persönlich am Hörer hatte, fasste er die Lage in wenigen Sätzen zusammen. Villiers hatte keine Zeit für ausschweifende Erläuterungen. Er erwartete stets nur die wichtigsten Details der Situation und verlangte eine bündige Entscheidungsvorlage.
Wenige Minuten später war das Gespräch beendet. Und nun stand Lucs Job auf dem Spiel. Letzte Chance. So einfach war das. Handhaben oder gehandhabt werden.
Er stöhnte auf, lehnte sich zurück und rieb seine Schläfen.
Dann wählte er die Nummer seiner Sekretärin. Er benötigte einen Flug nach Hamburg. Noch heute.
Löwenstraße, Eppendorf, Hamburg, 22. Juli
»Also, was hast du herausgefunden?«, fragte Juli, als Tom ihr am Nachmittag die Tür öffnete.
»Danke, gut. Und wie geht es dir?« Tom blockierte die halboffene Tür, indem er sich mit einem Arm am Rahmen abstützte. Wenn sie sich nicht auf eine Zusammenarbeit geeinigt hätten, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen, ihr die Tür vor der Nase
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