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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
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es ihn in die Heimat zurückzog. Und hier machte er die Bekanntschaft eines geheimnisvollen Adligen, der einen Nachfolger für sein Vampirgeschlecht suchte. Nur hat Lorant sich freiwillig dafür entschieden, ein Vampir zu werden.«
    »Dieser Adlige, wer war er?« Joannas Stimme zitterte.
    Stanislaw schien für die Dauer eines Wimpernschlags zu zögern, dann fuhr er fort: »Er stammte aus fürstlichem Geblüt, aus einer historischen Gegend im Süden des heutigen Rumäniens, die man Walachei nannte, und er war in einer zwar langen, aber direkten Linie ein Nachkomme des Vlad …«
    »Du meinst, des Vlad Dracul, des Pfählers?« Doch sie kannte die Antwort schon.
    »Ja, Joanna, das ist es, was ich die ganze Zeit vor dir verborgen gehalten habe. Was ich dir nach unserem Besuch auf der Klosterinsel nicht offenbaren mochte.«
    Joanna sank auf die gemauerte Umfassung des Kamins und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Was bedeutet das für mich?«, stammelte sie schließlich.
    »Du stammst von einer sterblichen Mutter ab, und dein Vater ist ein Vampir, sind wir uns so weit einig?«, fragte Stanislaw grimmig.
    Sie nickte.
    »Ich wurde von einem Geschöpf zum Vampir gemacht, das seinerseits durch die Blutstaufe Blut aus der Abstammung des Vlad Dracul erhalten hatte, und dieses Blut mischte sich dann mit meinem eigenen.«
    Sie blickte zu seiner hochgewachsenen Gestalt empor, die sich jetzt gegen den Kamin lehnte. »Und es ist ebenso in mir«, sagte sie kaum hörbar.
    »Aber wir tragen dennoch beide auch unser menschliches Erbe in uns«, erwiderte er in ungewohnt beschwörendem Ton, »wie sonst hätte ich irgendwann lernen können, was es bedeutet, zu lieben? Und die Liebe einer Sterblichen anzunehmen?«
    Joanna senkte den Kopf. »Was geschah nach deiner … Blutstaufe?«
    »Ich stürzte in einen Abgrund von Verzweiflung, verfluchte meinen Onkel und forderte von ihm, dass er mir auf meinem ewigen Weg durch die Finsternis wenigstens Igor als Gefährten überließ.«
    Das Tier drängte die Schnauze an die Seite seines Herrn. »Widerstrebend willigte er ein. Ich verließ Lorant, um nie mehr hierher zurückzukommen. Bis heute.«
    »Was wurde aus ihm, aus Lorant?«
    »Er fand ein bitteres Ende. Ihm wurde vom Ortsgeistlichen, der ein mutiger Mann war, in seinem nächtlichen Unterschlupf ein Pfahl durchs Herz getrieben.«
    Sie schwiegen eine Weile und hingen ihren Gedanken nach, bis Igor unvermittelt die Ohren aufstellte und leise knurrte. Seine hellen Augen verengten sich, die Lefzen gaben langsam die großen, starken Zähne frei.
    Stanislaw sah sich um, durchmaß mit wachen Augen den Raum und trat leise zu dem gotischen Bogenfenster, dessen gebrochenes Glas kaum den Wind abhielt. Er spähte hinaus in die Dunkelheit. Da war nichts, nur er, Joanna und der Hund. Und doch fühlte er etwas in dieser Stille. Er horchte, und seine Augen verengten sich wie die von Igor. Joanna beobachtete ihn.
    »Da ist etwas«, sagte sie.
    »Ja«, erwiderte er leise und ohne sie anzusehen.
    »Wo?«
    »Ich weiß es noch nicht. Irgendwo da draußen.« Igor wurde immer unruhiger und scharrte mit der Pfote auf dem staubigen Steinboden.
    »Lass uns von hier verschwinden.« Joanna wollte Stanislaws Hand ergreifen und ihn mit sich ziehen, als ein tiefes, dumpfes Grollen aus der Brust des mächtigen Hundes kam.
    »Ich fürchte, dafür ist es zu spät«, gab er zurück.
    Da hörten sie auch schon Schritte, die die steinerne Treppe heraufkamen. Es waren die schweren Schritte von jemandem, der sich nicht bemühte, leise zu sein, selbstbewusste Schritte.
    Igor duckte sich mit gesträubten Nackenhaaren, als setze er zum Sprung an, doch Stanislaw sagte etwas zu ihm in einer Sprache, die Joanna nicht verstand, worauf der Hund sich langsam aufrichtete und dann vollkommen still stand.
    Die Schritte kamen näher, und dann stand Kyrill auf der Schwelle. Das kantige Gesicht des Vampirs war ohne jeden Ausdruck. Seine Augen suchten den Raum ab und richteten sich auf Stanislaw, als seien Joanna und Igor nicht vorhanden.
    Zum ersten Mal spürte Stanislaw, welche Kraft von Kyrill ausging, und er wusste, was kommen würde. Die Haut spannte sich über seinen hohen Wangenknochen, als er die Kiefer zusammenpresste. Dieses Wesen brachte den Tod mit.
    Joanna wollte näher an ihren Vater heranrücken, doch er machte eine abwehrende Bewegung, und sein Blick senkte sich tief in ihre Augen. Es war nur ein kurzer, heftiger Moment, und sie erschrak. In diesem Blick lag etwas, das sie noch

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