Hymne an Die Nacht
nie an ihm gesehen hatte und nie wieder sehen wollte, es kam aus einer ganz anderen Welt, aus den Tiefen einer Dunkelheit, zu der sie nie Zugang haben würde.
Er sagte etwas in dieser fremden Sprache, kurz und scharf, und etwas geschah mit ihr. Sie spürte ein leichtes Zittern, eine Art Vibrieren, das aber gleich wieder verschwand, und dann stand sie still und konnte sich nicht mehr regen. Wie Igor. Sie wusste, was geschehen war. Ihr Vater hatte sie unter seinen Willen gezwungen, weil er das hier allein ausfechten wollte, ohne ihre oder Igors Hilfe.
»Die da«, Kyrill deutete auf Joanna, »die nehme ich mit.« Seine Stimme hallte in dem riesigen Raum.
Stanislaw antwortete nicht.
»Hast du nicht gehört, Stanislaw? Ich nehme sie mit, und du wirst mich nicht daran hindern.« Die Stimme war lauter geworden, doch Stanislaw antwortete noch immer nicht. Er stand ruhig da wie eine steinerne Statue, nur in seinen Augen schien so etwas wie Leben zu sein, etwas, das glimmte und glitzerte wie gebrochenes Eis.
Der russische Vampir senkte den Blick. Er wusste, was Stanislaw mit seinen Augen bewirken konnte, etwas, das ihm nicht gegeben war und das ihn töten konnte. Kyrill war zu jung, um die uralten Kräfte der Finsternis vollkommen zu beherrschen, seine Kraft war anderer Natur.
Stanislaw ahnte Kyrills Kampftechnik voraus. Er würde versuchen, ihm das Genick zu brechen, eine der wenigen Möglichkeiten, einen Vampir zu vernichten. Der Russe kam jetzt langsam näher, wobei er versuchte, seinem tödlichen Blick auszuweichen.
Noch könnte Stanislaw den Kampf, der sich hier anbahnte, aufhalten. Ohne Kyrill, der seinem Blick beständig auswich, in die Augen sehen zu müssen, könnte er in seinen Kopf und in seine Gedanken eindringen und ihn für diesen Moment ruhigstellen. Aber wollte er das? Dann würde irgendwann alles von vorne beginnen, und ihm wurde klar, dass er es hier beenden musste, für immer. Er musste seine Tochter von diesem Alptraum befreien.
Ein winziges Geräusch unterbrach seine Überlegungen. Eine Maus huschte über den Boden, und den Bruchteil der Sekunde, die er abgelenkt war, nutzte sein Widersacher. Stanislaw sah die Bewegung zu spät. Im nächsten Moment traf ein Fuß mit eiserner Kraft seine Brust. Er stürzte, schlug mit dem Hinterkopf auf den Steinfußboden, und dann war Kyrill über ihm.
Joanna wollte schreien, aber aus ihrem Mund kam nur ein dünnes Krächzen. Igor versuchte nach vorn zu drängen, wurde jedoch wie von einer unsichtbaren Kette festgehalten. Stanislaw empfand keinen Schmerz, nur eine tödliche Müdigkeit, während die harten Hände seinen Schädel in eiserner Umklammerung hielten.
Einen Moment lang war er versucht, einfach aufzugeben. Dann wäre endlich alles vorbei, und er würde ausruhen können. Doch der Moment verging so schnell, wie er gekommen war. Tief in seinem Inneren stieg etwas hoch, das gegen seine Brust drückte, und er wusste, es war Angst, Angst um seine Tochter, die er diesem Scheusal nicht überlassen durfte. Aus seiner Kehle drang ein Geräusch wie das Grollen eines bösartigen Wolfes.
Kyrill riss wie wild an Stanislaws Kopf, konnte aber den Augen, die jetzt ganz dicht vor seinem Gesicht waren, nicht mehr ausweichen. Grelle, gelbe Sonnen brannten sich schmerzhaft in sein Bewusstsein ein, und was er in seinen Händen hielt, hatte sich in pures Eis verwandelt, dessen Kälte von seinen Händen seine Arme hinaufkroch und sie zu lähmen drohte.
Wie aus weiter Ferne hörte er eine Stimme, hohl und mit einem Echo widerhallend: »Die da wirst du nicht mitnehmen.« Er spürte Stanislaws Finger, die sich wie stählerne Klauen um seinen Hals legten, doch keinem von ihnen gelang es, sich aus der Umklammerung des anderen zu befreien. Derjenige, den die Kräfte als Ersten verließen, würde der Verlierer sein.
Dann geschah etwas so Unerwartetes, dass beide Vampire in ihrem Kampf innehielten: Joanna stand plötzlich über den beiden Männern. In ihrer hocherhobenen Hand hielt sie eine der Fackeln, die Stanislaw im Raum verteilt hatte.
Kyrill, der noch immer den Kopf seines Gegners festhielt, reagierte als Erster. Zwischen den Zähnen knurrte er: »Das hätte ich mir denken können, du kleines Biest.«
Weiter kam er nicht. Joanna schleuderte die Fackel gegen Kyrills Rücken. Der russische Vampir schrie überrascht auf und ließ Stanislaw los. Er wälzte sich auf dem Boden und schlug mit den Armen um sich, doch das Feuer züngelte schon über ihn hinweg, und im nächsten
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