Hymne an Die Nacht
recht gehabt hatte. Vielleicht wäre es wirklich besser, den Wagen in der Hotelgarage stehen zu lassen und für die Weiterreise nach Transsylvanien ein geländegängiges Fahrzeug zu mieten.
In einer Mischung aus Verärgerung und Beschämung gestand er sich ein, dass er die Situation falsch beurteilt hatte. Wie hatte er allen Ernstes glauben können, mit einem solchen Gefährt, das auch wegen seines Baujahrs der absoluten Luxusklasse angehörte, unbeschadet durch ein Land wie das heutige Rumänien reisen zu können?
Das Summen seines Mobiltelefons unterbrach diese Überlegungen. Geistesabwesend nahm er ab. »Ja?« Er hatte auf die Nummer im Display nicht geachtet.
»Könnte es sein, dass du dir momentan etwas zu viele Sorgen machst, alter Freund?« fragte eine dunkle, heisere Stimme.
»Ewa …«, sagte er leise. »Wo bist du? Und woher weißt du …«
»Wo ich bin, spielt im Moment keine Rolle. Und woher ich weiß, was gerade in dir vorgeht, werde ich dir auch nicht verraten, aber …«, sie lachte dröhnend, »du kennst doch meine fabelhaften Hexenkünste! Wir werden uns bald treffen. Du hörst wieder von mir, wenn ihr in Bukarest eingetroffen seid. Und mach dir keine Gedanken um dein kostbares Gefährt, wir finden schon einen Platz für den Mark II .« Sie lachte erneut, es klang wie das Meckern einer Ziege.
»Sag deinem Neffen, dass ich ihm sehr dankbar bin. Joanna fühlt sich offenbar wohl in seiner Gesellschaft.«
Sie erwiderte nichts, bis er fragte: »Bist du noch da, Ewa?«
»Ja. Wir wachen beide über sie, Tomas in ihrer Nähe und ich aus der Ferne. Aber sorg dafür, dass sie keinen weiteren Unfug treibt. Dieses Mädchen weiß offenbar nicht, wozu es fähig ist.«
»Das wusste ich bis vor kurzem auch nicht«, grummelte er.
»Na gut. Dann bis bald. Wir treffen uns in den nächsten Tagen in eurem Hotel in Brasov. Grüß Igor von mir, den alten Zausel. Ist ja eine Ewigkeit her, seit ich ihn zuletzt gesehen habe.«
»Alter Zausel hat sie dich genannt«, rief Stanislaw über die Schulter, doch sein Gefährte stellte sich schlafend.
Sie fuhren weiter durch die Neumondnacht, in deren Schwärze sich die Konturen auflösten. Immer seltener leuchteten die Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge vor ihnen auf, und nur noch wenige Lichter in den umliegenden Ortschaften erinnerten daran, dass dort Menschen wohnten.
Sehr still war es in dieser dunklen, nächtlichen Umgebung. Als wären wir ganz allein auf der Welt, dachte Stanislaw. Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Igor, der bis jetzt zusammengerollt vor sich hin gedöst hatte, streckte die langen Läufe von sich, gähnte und richtete sich auf.
»Bald sind wir da, mein Großer.«
Igor wedelte und spähte hinaus. In der Ferne wurde ein diffuses Leuchten sichtbar, der erste Widerschein von Bukarest. Es war kurz nach zweiundzwanzig Uhr, eigentlich noch zu früh, um Joanna anzurufen und sein Eintreffen anzukündigen. Doch dann verging der letzte Teil der Reise ganz schnell, und es war ihm recht so, denn er wollte jetzt nur noch bei seiner Tochter sein. Die Stadt interessierte ihn nicht wirklich, er war dort nie gewesen, und sie hatte mit seinem früheren Leben nichts zu tun.
Er beschleunigte das Gefährt, ohne länger auf Verkehrszeichen und Regeln zu achten, er kümmerte sich nicht um das panische Hupen anderer Autofahrer, er hängte die Polizeistreife ab, die ihn zu verfolgen versuchte, und landete mit elegantem Schwung vor dem Hotel.
*
Stanislaws Ankunft sorgte im Hotel für eine kleine Sensation. Seine ungewöhnliche Erscheinung, der riesige Wolfshund mit den guten Manieren, der »Mark II «, auf all das war das Personal dort nicht vorbereitet. Natürlich hatte Stanislaw bei der Reservierung seine besonderen Wünsche vorgetragen, er hatte auf einer Suite für sich und seinen großen Hund bestanden und vor allem auf einer besonderen Verdunkelung des Schlafbereichs, einem Wunsch, den er sich für diese eine Übernachtung mehr kosten ließ, als es dem durchschnittlichen Monatsgehalt eines Hotelangestellten entsprach.
Als er mit Igor die Halle betrat, hielten nicht nur die Angestellten den Atem an. Die Hotelgäste in ihren tiefen Sesseln unterbrachen ihre Gespräche und starrten den beiden Neuankömmlingen entgegen. Der hochgewachsene, schlanke Mann unbestimmbaren Alters mit den asketischen Gesichtszügen und dem halblangen dunklen Haar wirkte als Gestalt schon eindrucksvoll genug. Seine Kleidung war der Jahreszeit angepasst, er trug ein Sakko
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